Ein Wagnis

Über eine Bibel-Geschichte von Solidarität und Liebe schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

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Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen … dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“
aus dem Buch Rut 1, 1-19a

Eine Frau kehrt zurück ins Land ihrer Vorfahren, gezeichnet von Schicksalsschlägen. Ihren Mann und ihre beiden Söhne, mit denen sie einst die Heimat verlassen hatte, weil es im Ausland mehr Mittel zum Überleben gab, hat sie dort verloren. Nun ist die Witwe auf der Rückreise, weil sie gehört hat, dass sich die wirtschaftliche Lage zu Hause gebessert habe.

Im Schlepptau hat sie ihre beiden Schwiegertöchter, fremdstämmig, beheimatet in einer anderen Kultur, in einem anderen Glauben. An der Grenze will sie die beiden zurückschicken. Sie kennt das Misstrauen ihrer Verwandten, ihres Volkes Fremden gegenüber. Es macht keinen Sinn, beide zu entwurzeln. Beide sollen sich besser unter ihresgleichen in ihrem Land neu verheiraten. Zudem gilt sie als Witwe ohne Söhne von Gott geschlagen, sie wird es auch in der alten Heimat schwer haben.

Während die eine Schwiegertochter sich tränenreich verabschiedet und umkehrt, bleibt die andere an ihrer Seite. Sie will das harte Schicksal ihrer Schwiegermutter weiterhin mittragen, ja, sie bekennt sich sogar zu diesem harten, unbegreiflichen Gott der Alten.

Wunderbare Erzählung

Ja, hart ist der Beginn dieser Geschichte, die das Buch Rut hier aus dem alten Israel erzählt – und die sich bis heute unzählige Male wiederholt hat. Sie spricht von Heimatverlust und Entwurzelung; von der Angst, als Fremde nicht willkommen zu sein; von Frauen, die ohne Männer auch im eigenen Volk höchstens Bittstellerinnen sind.

Und es ist eine wunderbare Geschichte, die erzählt von Solidarität, ja von Liebe, die Menschen Mut macht, sich ins Unbekannte zu wagen, so wie Rut es für ihre Schwiegermutter auf sich nimmt. Und es ist eine eigenwillige Missionsgeschichte. Das Vorbild ihrer Schwiegermutter ist für Rut so groß, dass sie sich auf deren Gott einlässt, der doch so hart und unergründlich an dieser gehandelt hat. Das ist für mich das Denkwürdigste an dieser Geschichte: Liebe zu einem Menschen nimmt es sogar mit einem zornigen Gott auf.

Unser Autor
Pastor Tilman Baier ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Dienstag.