Ein verräterischer Blick aufs eigene Leben

Ein alter Gentleman blickt zurück auf sein Leben – und entpuppt sich als gar nicht so untadelig. Ein mitreißender und bewegender Roman.

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Jane Gardam: Ein untadeliger Mann
Von Mirjam Rüscher
Ein alter Mann – pensioniert, verwitwet – blickt zurück auf sein Leben. So weit, so unspektakulär. Doch in Jane Gardams Roman „Ein untadeliger Mann“ schwelgt Protagonist Edward Feathers nicht einfach in Erinnerungen an früher oder hängt verpassten Chancen nach. Er erkundet sein Leben, verarbeitet, was er lange verdrängt hat.
Feathers, einst erfolgreicher Anwalt in Hongkong, ist ein vollendeter Gentleman, reich, sein Leben eine Erfolgsstory. Alles schien ihm mühelos zugeflogen zu sein, er genießt auch im Alter noch ein hohes Ansehen, scheint ohne Fehler und Tadel. Doch während Feathers in seine Vergangenheit eintaucht, zeigt sich immer mehr, dass kaum jemand ihn wirklich kennt. Nicht einmal seine verstorbene Frau hat gewusst, wer er wirklich war.
Mit großer Leichtigkeit entfaltet Gardam nach und nach die Facetten eines bewegten Lebens in Zeiten des untergehenden British Empire. Der untadelige Mann erscheint bei genauerer Betrachtung gar nicht mehr so untadelig. Er ist ein verkorkster Typ, unfähig zu echter Bindung, und trägt ein Geheimnis mit sich herum.
Die Reise in die Vergangenheit deckt die grausamen Details einer unglücklichen Kindheit auf. Dezent vermittelt die Autorin politische Hintergründe, leuchtet dunkle Ecken aus. Sie schreibt über Schuld, ohne zu verurteilen, und vermittelt doch ein klares Statement. Gardam stellt die Frage, was am Ende von uns bleibt, was uns ausmacht. Sie zeigt, dass man seine Vergangenheit zwar verdrängen, aber nie ganz abschütteln kann. Ihr Roman ist bewegend, mitreißend, er ist so schön, so absurd und so traurig und lässt einen erst wieder los, wenn das ganze Buch geschafft ist.
Jane Gardam: Ein untadeliger Mann
Hanser Berlin 2015
352 Seiten, 22,90 Euro