Ein starkes Stück Leben

Sport ist „Pflege des Tempels Gottes“. Eugen Eckert ist Pfarrer an der Schnittstelle von Kirche und Sport

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“, fragt der Apostel Paulus. In seinem ersten Brief nach Korinth (1. Korinther 3, 16) geht es ihm dabei um die Großbaustelle Gemeinde. Alle, so sagt Paulus, tragen eine Verantwortung dafür, dass das Bauwerk gelingt. Das erläutert er mit einem Bild vom Tempelbau. Selbstverständlich kommt es auf der Baustelle auch auf die Qualität der verwendeten Materialien an. Dafür Sorge zu tragen, ist ein Beitrag, den alle leisten können. Schließlich soll sich Gottes Geist in seiner Wohnung wohlfühlen.

Als Pfarrer an der Schnittstelle von „Kirche und Sport“ interpretiere ich dieses Bild auch im Blick auf mich und den Umgang mit meinem Körper. Oder, erweitert, auf uns und unsere Körper. Denn Teil unserer Existenz ist die Leiblichkeit. In unsere Körper haucht Gott Leben ein (1. Mose 2, 7). Damit werden sie zu einem Tempel, in dem Gottes Geist wohnen möchte. Zur Pflege dieses Tempels, meines Körpers, gehört, dass ich regelmäßig Sport treibe, auch im siebten Lebensjahrzehnt.

Die Seele soll gern im Leib wohnen

Zwei Mal in der Woche arbeite ich mit Gewichten. Weil ich oft am Schreibtisch sitze und auch weiß, dass im Alter die Muskelmasse pro Lebensjahr um ein Prozent abnimmt, trainiere ich, weiterhin so aufrecht wie möglich gehen zu können. Das strengt an. Oft bin ich am Ende von 14 Übungen Krafttraining an Maschinen völlig durchgeschwitzt. Aber kurz danach schon stellt sich ein Glücksgefühl ein. Ich werde stolz auf mich, weil ich wieder ein paar Millimeter über mich hinausgewachsen bin. Und ich weiß auch, dass sich mit regelmäßigem Training meine Leistungsfähigkeit erhöht und sich mein Schlaf verbessert, wenn ich körperlich gefordert bin. Teresa von Ávila, eine Mystikerin des Mittelalters, schreibt: „Tu deinem Leib Gutes, damit deine Seele gerne in ihm wohnt.“ Mir tut mein Sport gut.

Was genau Sport ist, weiß kein Mensch zu sagen. Fußball, Boxen, Schach, Angeln, Autorennen etwa werden als Sport bezeichnet. Aber was verbindet sie alle? Letztlich vielleicht, dass sie etwas Spielerisches haben und, zumindest auf der Ebene des Breitensports, zweckfrei stattfinden. Wo Sport als Spiel stattfindet, einfach zum Selbstzweck oder nur um des Spielens willen, tut er gut.

Beispiele dafür gibt es viele. „In Bewegung kommen und in Bewegung bleiben, das braucht jeder Mensch und das braucht die Kirche“, schreibt Tanja Brinkhaus-Bauer, die jährlich den Binger Firmenlauf organisiert. „Bewegung gegen Vergesslichkeit“ überschreibt Sportprofessor Stefan Schneider seine Erfahrungen damit, wie ein aktiver Lebensstil der Demenzerkrankung vorbeugen kann: „Ein regelmäßiges sportliches Training führt bei Betroffenen zu einer verbesserten Lebensqualität und einer verbesserten Gedächtnisfunktion.“

Allerdings geht es im Sport häufig nicht nur um die selbstzufriedene Leistung, wie ich sie in meinem Fitness-Studio erlebe, sondern um den Leistungsvergleich. Theologieprofessor Michael Roth präzisiert: „Es geht nicht um ‚hoch‘, ‚schnell‘ oder ‚weit‘, sondern um ‚höher, schneller, weiter‘, kurz: um die Konkurrenz hinsichtlich der Leistungen.“ Muss ich mich als Sportpfarrer, müssen wir uns als Kirche dagegen abgrenzen?

Nein. Erstens, weil sich der Sport ein Regelwerk gibt, das sich auf Fairness und Fairplay gründet. Meine Gegner, meine Konkurrenten behalten im sportlichen Wettstreit ihre Menschenwürde. Auch wenn ich mit ihnen um Sieg oder Niederlage ringe, verfolge ich nicht das Ziel, sie zu vernichten. Sie bleiben meine Gegenüber, zum Bilde Gottes geschaffen so wie ich (1. Mose 1, 27). Und ohne sie könnte ich diesen Sport ja auch gar nicht ausüben.

Zweitens hilft mir der Konkurrenzkampf im Sport zu einer Orientierung in meinem Leben. Ich lerne, dass ich verlieren, dass ich hinfallen kann – und auch wieder aufstehen. Ich lerne, dass ich mich über einen Sieg freuen kann, ohne im Triumph andere klein zu machen. Ich lerne es, Verantwortung zu übernehmen und Disziplin zu üben. Ich lerne, dass mir Foulspiel unterlaufen kann, dass ich Regeln verletze, dass ich dafür bestraft werden kann, aber auch, dass es die von Herzen kommende Entschuldigung gibt, den Handschlag und ein neues Lächeln.

Beitrag zur Entwicklung der Persönlichkeit

Drittens halte ich es in einer Medien- und Konsumgesellschaft, in der so viele Menschen zu Passivisten zu werden drohen, für viel wichtiger, zur sportlichen Betätigung und der damit einhergehenden Persönlichkeitsentwicklung zu raten, als kritisch den Leistungsvergleich zu hinterfragen.

2006, im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, definierte Wolfgang Huber, seinerzeit Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Dimension des Sports mit den Worten: „Sport ist ein starkes Stück Leben.“ Dieser Gedanke geht davon aus, dass Sport sehr viel mehr bedeutet als körperliche Bewegung oder Spiel. Im Sport werden Körper, Geist und Seele des Menschen ganzheitlich angesprochen. Genau darum treibe ich Sport – auch in der Hoffnung, dass ich meinen Körper, einen der Tempel Gottes, so gut pflege, dass Gottes Geist gerne in ihm wohnt.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat vor zwei Jahren die Broschüre „Zwischen Himmel und Erde bewegen. Gelungene Beispiele von Kirche und Sport“ herausgegeben. Sie steht als Download unter https://www.ejwue.de/fileadmin/Eichenkreuz/Download-Material/2019_Kirche-Sport-Broschuere_EKHN.pdf zur Verfügung.