Ein schwarzes Jahr mit wenig Lichtblicken im Heiligen Land

2023 war kein gutes Jahr für Nahost. Auch der Ausblick in die Zukunft ist alles andere als rosig.

Bis zum 6. Oktober fiel die Jahresbilanz im Heiligen Land bescheiden aus. Die rechteste Regierung in der Geschichte Israels, ein erbitterter Kampf um eine weitreichende Justizreform, zunehmender Extremismus, Siedlergewalt und Siedlungsausbau spalteten die Gesellschaft und ließen moderate Kräfte verzweifeln. Radikale Übergriffe auf Christen stiegen auf einen traurigen Rekord. Dann folgten der Terrorangriff der palästinensischen Hamas vom 7. Oktober und ein Krieg im Gazastreifen. Beides machte aus 2023 ein schwarzes Jahr in der Geschichte zweier Völker.

Für viele hatte das Jahr unter falschen Vorzeichen begonnen. Erstmals waren Rechtsextreme Teil einer israelischen Regierung. Gerade eine Woche alt, sah 2023 den ersten Protest gegen diese Regierung und ihre Reformpläne. Er weitete sich zu wöchentlichen landesweiten Demonstrationen aus, denen erst die Hamas mit ihrem Angriff neun Monate später ein Ende setzte.

Gewalt markierte das Jahr von Beginn an. Ende Januar erschoss ein palästinensischer Terrorist sieben Menschen bei einem Anschlag auf eine Synagoge in einer Ostjerusalemer Siedlung. Ende Februar fielen israelische Siedler nach einem palästinensischen Anschlag mit zwei getöteten Israelis über die palästinensische Stadt Huwara im besetzten Westjordanland her und töteten einen Palästinenser, der Sachschaden belief sich auf 4,6 Millionen Euro. Immer wieder wurde Huwara zum Ziel von Gewalt, bei der zuletzt in der Nacht zum 6. Oktober ein weiterer Palästinenser erschossen wurde.

Wiederholt kam es zu israelischen Militärrazzien mit Todesopfern in palästinensischen Städten wie Nablus und Dschenin, Anfang Juli gar zu der größten Luft- und Bodenoffensive in den besetzten Gebieten seit Jahrzehnten, die einen getöteten israelischen Soldaten, zwölf getötete Palästinenser und eine Spur der Verwüstung zur Bilanz hatte.

Tor Wennesland, UN-Sonderkoordinator für den Friedensprozess in Nahost, sprach bereits im August vom tödlichsten Jahr im Nahostkonflikt seit 2005. Mehr als 200 Palästinenser und mehr als 30 Israelis waren zum Zeitpunkt seiner Aussage da schon bei Anschlägen, Militäroperationen, Zusammenstößen und Demonstrationen getötet worden.

Aus christlicher Sicht hatte das Jahr ein paar Lichtblicke zu bieten – die Ordination der Palästinenserin Sally Azar zur ersten Pastorin der lutherischen Ortskirche etwa oder die Erhebung des Lateinischen Patriarchen Pierbattista Pizzaballa zum Kardinal. Bestätigt haben sich aber auch die Befürchtungen der katholischen Heiliglandbischöfe, die vor Amtsantritt der israelischen Regierung vor einer Gewalteskalation gewarnt hatten.

Die Schändung des Jerusalemer protestantischen Friedhofs, Hassgraffiti im armenischen Viertel, die Verwüstung einer maronitischen Kirche in Nordisrael, ein Angriff auf christliche Restaurants: Mehrfach wurden Christen zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Ein Fenster des Abendmahlssaals: eingeworfen; eine Christusstatue in einer franziskanischen Kirche auf der Via Dolorosa: geschändet; das Karmeliterkloster „Stella Maris“ in Haifa: Ziel strengreligiös-radikaler Juden, die dort die Grabstätte des Propheten Elischa suchten.

Der 7. Oktober stellte all dies in den Schatten. Seit dem Holocaust seien nie so viele Juden „an einem einzigen Tag ermordet“ worden, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch Ende November. Am „schwarzen Schabbat“ ermordeten Terroristen der Hamas mehr als 1.200 Menschen in Israel, zerstörten ganze Orte in Grenznähe, entführten rund 240 Geiseln und entfachten einen Krieg, der nach Worten von UN-Generalsekretär Antonio Guterres ein „beispielloses und noch nie dagewesenes“ Ausmaß an zivilen Todesopfern verglichen mit jedem anderen Konflikt seit 2017 zur Folge hatte.

Nach Zahlen aus Gaza, die von UN-Organisationen als zuverlässig angesehen werden, starben dort mindestens 14.800 Menschen. Auch die kleine christliche Gemeinschaft dort traf die Gewalt. Über zwei Prozent der christlichen Bevölkerung starben an ihren Folgen, so der Generaldirektor des Lateinischen Patriarchats in Jerusalem, Sami al-Yousef. Ganz zu schweigen von Schäden an christlichen Einrichtungen. Die Kirchen der Region sagten alle vorweihnachtlichen Feiern ab, aus Respekt vor den Opfern.

Keiner weiß, wie es in Nahost weitergeht. Noch können rund 250.000 Israelis aus den Grenzgebieten zu Gaza und zum Libanon nicht in ihre Häuser zurück. Israel betonte durch die Feuerpause hindurch, es werde den Krieg wieder aufnehmen und seine Ziele – Vernichtung der Hamas und Befreiung aller Geiseln – bis zum Schluss verfolgen. Die Gewalt israelischer Siedler in den besetzten Gebieten hat im Schatten des Kriegs in der Vertreibung ganzer Beduinendörfer einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Frage der Palästinenser und einer Zwei-Staaten-Lösung ist mit Dringlichkeit zurück auf der weltpolitischen Agenda. Doch mögliche Lösungen scheinen weiter entfernt als je zuvor.