Ein Mönch gegen die gesamte Christenheit

Martin Luthers Begegnung mit Kaiser Karl V. vor 500 Jahren gilt als Schlüsselmoment der Kirchengeschichte. Die berühmte Verteidigungsrede trug entscheidend dazu bei, dass die Reformation nicht mehr zu stoppen war.

"Hier stehe ich!" – Das Gemälde  "Luther auf dem Reichstag zu Worms" von  von Anton von Werner (1843–1915)
"Hier stehe ich!" – Das Gemälde "Luther auf dem Reichstag zu Worms" von von Anton von Werner (1843–1915)akg-images

Worms. Unzählige Schaulustige strömten auf die Straßen der Stadt Worms, als am 16. April 1521 ein von Reitern begleiteter Pferdewagen durch das Stadttor rumpelte. Nach einer beschwerlichen, zweiwöchigen Reise aus Wittenberg war der Theologie-Professor Martin Luther am Ziel: Wegen seiner provokanten Kritik an den Zuständen in der Kirche hatte er eine Vorladung zum Wormser Reichstag erhalten. Er sollte dort seine Thesen widerrufen. Die Ereignisse der kommenden Tage wurden zum Wendepunkt für die Kirchengeschichte – denn Luther blieb standhaft, widerrief nicht und die Reformation nahm ihren Lauf.

Dabei sei das Treffen mit dem Kaiser ganz anders verlaufen als es der Reformator erwartet habe, sagt der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann von der Universität Göttingen, der als einer der besten deutschen Luther-Experten gilt: „Er hat die Vorladung nach Worms als Möglichkeit zur Disputation verstanden.“ Doch eine ernsthafte Debatte hatte der junge Kaiser Karl V. zu keinem Zeitpunkt auch nur erwogen.

Für vogelfrei erklärt

Die Kirche hatte Luther bereits im Frühjahr 1521 wegen seiner Thesen exkommuniziert. Aber auch die weltliche Obrigkeit musste einer Verurteilung zustimmen, das sollte in Worms geschehen. Zunächst sah es nach Luthers Widerrufs-Verweigerung so aus, als hätten seine Gegner alle ihre Ziele erreicht: Die Verurteilung Luthers wurde bestätigt, mit dem „Wormser Edikt“ bekräftigte Karl V. das Verbot aller Schriften des Reformators und erklärte ihn für vogelfrei.

Grünes Licht für den Reformator: In Worms gibt es sogar eine Luther-Ampel
Grünes Licht für den Reformator: In Worms gibt es sogar eine Luther-AmpelKristina Schäfer / epd

Trotz einiger Fürsprecher unter den Mächtigen konnte sich der Reformator bei der Reise nach Worms nur bedingt auf das zugesicherte freie Geleit verlassen: Rund 100 Jahre zuvor war der böhmische Theologe Jan Hus im Vertrauen auf eine ähnliche Zusage zum Konzil nach Konstanz gereist und dort als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.

Noch am Abend vor der Ankunft in Worms versuchte Reichsritter Franz von Sickingen, Luther im Oppenheimer Gasthaus „Zur Kanne“ zu überreden, die Weiterfahrt abzubrechen und sich stattdessen auf seiner Ritterburg zu verstecken. Luther schlug das Angebot aus: „Wenn so viel Teufel zu Worms wären als Ziegel auf den Dächern, so wollt‘ ich hinein.“

Kaiser wollte kurzen Prozess

Zwei Tage später wurden Luther bei seinem ersten Zusammentreffen mit Kaiser Karl im Wormser Bischofspalast lediglich zwei Fragen gestellt: Ob die ihm zum Vorwurf gemachten anti-päpstlichen Schriften tatsächlich von ihm stammten und ob er sie widerrufe. Der Reformator bat sich noch eine Nacht Bedenkzeit aus.

„Der Kaiser hätte am liebsten kurzen Prozess gemacht“, erklärt Ulrich Oelschläger, der Präses der hessen-nassauischen Kirchensynode und Luther-Beauftragte der Stadt Worms. Dass es überhaupt zu dem Treffen von Karl V. und Luther kam, habe an der verwickelten politischen Konstellation der damaligen Zeit gelegen. So benötigte der Kaiser die Unterstützung der Fürsten für seinen Krieg gegen die Franzosen. Deshalb musste er auch auf Luthers mächtigen Landesherrn, den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen, Rücksicht nehmen. „Die politische Struktur Deutschlands hat der Reformation früh Nischen geschaffen“, steht auch für den Historiker Kaufmann fest.

Berühmter Spruch fiel nicht wörtlich

Beim zweiten Verhör erklärte Luther dem Herrscher am 18. April 1521 in einer ausgefeilten Verteidigungsrede, er sehe sich durch die Bibel bestätigt und könne seine Ansichten nicht gegen das eigene Gewissen verleugnen. Der ihm häufig zugeschriebene Ausruf „Hier stehe ich und kann nicht anders“ fiel dabei nicht wörtlich. Karl V. reagierte empört: „Es ist sicher, dass ein einzelner Mönch in seiner Meinung irrt, wenn diese gegen die der ganzen Christenheit steht, wie sie seit mehr als tausend Jahren gelehrt wird.“

Martin Luther hat dank der Reformation viele Fans
Martin Luther hat dank der Reformation viele FansSteffen Schellhorn / epd

Dennoch konnte Luther Worms zunächst unbehelligt verlassen – möglicherweise auch deshalb, weil Karl V. und seine Berater einen Aufruhr in der Bevölkerung fürchteten. Als das „Wormser Edikt“ im Mai veröffentlicht wurde, befand Luther sich bereits in Sicherheit auf der Wartburg bei Eisenach. Und in Teilen des Reichs ließen sich die Anordnungen des Kaisers gar nicht mehr durchsetzen. Die Anhänger der Reformation waren bereits zu stark geworden.

Luthers Rede vor dem Kaiser sei mit der Zeit zu einer Heldengeschichte aufgebaut worden, sagt Kirchenhistoriker Kaufmann. Für ihn ist der Wormser Reichstag sogar das erste Ereignis der Geschichte, dass dank Buchdruck und Flugschriften erfolgreich zu einem politischen „Event“ umgeformt wurde. Die Reformation war nach Worms auch aus diesem Grund nicht mehr zu stoppen.

Sternstunde für Zivilcourage

Dabei habe Luther selbst unmittelbar nach seiner Widerrufsverweigerung in einem Brief an Lucas Cranach noch Zweifel geäußert, ob er seine Position überhaupt hart genug verteidigt habe. Später sei das für ihn kein Thema mehr gewesen. „Je mehr Zeit verging, umso großartiger fand er sich selbst“, berichtet Kaufmann.

Die evangelische Kirche will den 500. Jahrestag des Wormser Reichstags nicht als Heldenfeier begehen, sieht in Luthers wagemutigen Auftritt aber eine Sternstunde für Werte wie Haltung und Zivilcourage. Der Luther-Kenner Oelschläger erkennt dabei Parallelen zwischen dem Reichstags-Auftritt und aktuellen Debatten. So würden sich aktuell katholische Kirchenvertreter auch unter Berufung auf ihr Gewissen offen weigern, das Verbot von Segensfeiern für homosexuelle Paare zu akzeptieren. Glaubensinhalte könnten nicht von oben herab angeordnet werden: „Das funktioniert nicht mehr.“ (epd)