Seit den 1990er Jahren war Thommy im Teufelskreis der Sucht gefangen. Viele seiner Freunde starben. Heute engagiert er sich in der Suchthilfe. Auch zum Drogentoten-Gedenktag am Montag.
An das erste Mal erinnert sich Thommy noch ganz genau. Das war 1993. Einer seiner Freunde habe gesagt: “Heroin spritzen ist viel schöner als schnupfen.” Doch Thommy, der im wahren Leben einen anderen Namen trägt, hat Respekt. “Ich hatte die Bilder von Christiane F. aus dem schockierenden Bestsellerbuch ‘Wir Kinder vom Bahnhof Zoo’ im Kopf, mit der Nadel im Arm.”
Irgendwann kann er nicht mehr widerstehen, er ist mit Freunden in Darmstadt unterwegs, sie besorgen sich ein Päckchen Heroin, fünf Gramm für 100 Mark, und Thommy setzt sich seinen ersten Schuss. Er zeigt auf seinen rechten Unterarm. “Wenn er nicht tätowiert wäre, könnte man die Einstiche sehen.”
Dem ersten Mal in Darmstadt sind viele weitere Male gefolgt. Zwei seiner Freunde hätten sich übergeben müssen, Thommy nicht. Er erlebt einen Trip, wie er ihn noch nie erlebt hat und danach auch nie wieder erlebt. Den er seitdem aber sucht. “Man fühlt sich wohlig und warm, es ist nichts im Kopf, keine negativen Gedanken.” Das Gefühl kommt nicht wieder. Egal was, egal wie viel er nimmt.
Thommy war jahrelang ständig auf irgendeinem Trip, die Drogen finanziert er sich mit kleinen Diebstählen und dem Geld seiner Mutter. Der damals Mitte 20-Jährige lebt noch bei ihr, und sie hält es aus. Das rechnet er ihr hoch an. Er weiß, dass sie sich ein anderes Leben für ihn gewünscht hätte, dass sie jahrelang zur Co-Abhängigen wurde, die selbst unter Schuldgefühlen litt.
Erst viele Jahre später in der Therapie lernt Thommy, dass er selbst auch ein Opfer war. Opfer eines Vaters, der auch Drogen nahm und die Mutter schlug, eines Stadtteils, in dem viele zerbrochene Familien lebten, einer Schule, die ihn nach der achten Klasse ohne Abschluss, mit Sechsen und vielen Fehltagen im Zeugnis, einfach gehen ließ. Bald seien die Diebstähle größer geworden.
Er wird von der Polizei gefasst und landet im Gefängnis. “Zum Glück, sonst würde ich heute nicht hier sitzen.” Im Gefängnis gibt es keine Drogen, nur kalten Entzug. Das sei zwar schlimm gewesen, da sich seinerzeit niemand um die Qualen der Abhängigen gesorgt habe. Aber so sei er wenigstens runtergekommen. Um dann, sobald er wieder zurück in Freiheit war, wieder raufzukommen.
“In Mannheim gab es damals eine große Drogenszene, da konntest du gar nicht vorbeilaufen.” Und Thommy will auch gar nicht vorbeilaufen. Für ihn ist das sein Leben, ein anderes, so habe er damals gedacht, sei gar nicht vorgesehen. So dreht sich der Teufelskreis weiter.
Thommy hat nichts gelernt, keinen Beruf – das Geld für seine Drogensucht muss er sich auf kriminelle Weise besorgen. Manchmal ist er dem Tod näher als dem Leben, wenn er sich aus Heroin, Kokain und Rohypnol gefährliche Mischungen zusammenbraut.
Nach dem Rausch seien dann die Scham- und Schuldgefühle gekommen, schnell überlagert von dem Gedanken: Wo kommt der neue Stoff her? Anfang der 2000er-Jahre begeht Thommy mit zwei Komplizen einen bewaffneten Raubüberfall. Das Ganze geht schief, das Urteil lautet: sieben Jahre Gefängnis.
Für Thommy bringt das die Wende. Er ist sich sicher: Wenn er die Zeit abgesessen hat, will er nie mehr ins Gefängnis. Er beginnt eine Therapie – und bricht sie nicht wie die vorausgegangenen ab. Seit 14 Jahren ist er durchgehend in Substitutionsbehandlung. Er erhält Methadon, eine Ersatzdroge, die dafür sorgt, dass er keinen Suchtdruck verspürt. Es macht ihn aber auch nicht high.
Manchmal verfalle er in alte Gewohnheiten, dann schlucke er zum Beispiel Tabletten. Doch auch damit will er aufhören. Er habe Freunde sterben sehen und andere, die bis heute nicht die Kurve gekriegt hätten. Thommy ist jetzt 52 Jahre alt. Der jahrelange Drogenmissbrauch hat seine Spuren hinterlassen.
Ihm fehlen fast alle Zähne. Ansonsten gehe es ihm gut, sagt er. Aus einer inzwischen geschiedenen Ehe hat er eine Tochter, die inzwischen 32 Jahre alt ist. Früher habe er kaum Kontakt zu ihr gehabt, doch heute sei das Verhältnis gut. “Wir telefonieren mehrmals in der Woche.” Auch einen Sohn hat er. Dass die beiden auf die schiefe Bahn geraten könnten, befürchtet er nicht. “Die sind viel besser aufgeklärt, als ich es war.”
Drei Mal in der Woche unterstützt Thommy die Suchthilfe-Einrichtung “Drogenverein Mannheim” beim Einsammeln von gebrauchten Spritzen. Die lägen überall herum, unter der Kurpfalzbrücke, am Neckarufer. Manchmal sprächen ihn Menschen an, wenn er mit einer Zange die Nadeln aufhebt und in einen kleinen Eimer steckt.
“Viele sind nett und wollen wissen, was ich da mache, bei anderen merke ich, dass sie auf mich herabblicken.” Das störe ihn am meisten, dieses Abwerten. “Die denken, wir sind dreckige Junkies.” Er würde sich wünschen, dass die Menschen mehr Verständnis hätten. Oder dass sie ihn einfach fragen würden: “Warst du mal auf Droge?” Dann würde er ihnen seine Geschichte erzählen.