Ein lebendiges Orgelspiel

Er konnte Orgeln wahre Klangerlebnisse entlocken. Am Sonntag, 6. Mai, feiert Landeskirchenmusikdirektor Winfried Petersen seinen 90. Geburtstag. Eine Gratulation seiner Nachfolgerin Christiane Werbs.

Winfried Petersen beim Interview mit Marion Wulf vor etwa 30 Jahren
Winfried Petersen beim Interview mit Marion Wulf vor etwa 30 JahrenBernd Bohne

Warnemünde. Als ich fünf Jahre alt war, kam Winfried Petersen als junger Kantor an den Güstrower Dom, vor seiner Zeit in Schwerin. Meine erste Erinnerung an ihn ist verknüpft mit brausenden Orgelklängen. Bald baute er eine Kurrende auf – in der Zeit um 1960 durchaus noch etwas Besonderes. Wir sangen unter anderem zweistimmige geistliche Konzerte, die ich später auch mit Kindern oder mit Solisten musizierte.
Höhepunkt im Kurrendejahr waren die Kindersingwochen in den Sommerferien. In Klueß bei Güstrow oder im Pfarrhaus Serrahn bei Krakow oder im Pfarrhaus Mirow verbrachten wir unbeschwerte Tage mit Singen, Spielen und Baden. 
Morgens vor dem Frühstück feierten wir eine liturgische Mette. Das war manchmal ganz schön lang, und der Magen knurrte, aber wir spürten die Kraft, die in den alten Gebeten und Gesängen liegt. Die älteren Kinderchorsänger wollten dies auch nach der Singwoche weiterführen. Und so trafen wir uns eine Zeitlang täglich vor Schulbeginn um 7 Uhr im Dom zur Mette. Unsere Lehrer wussten genau, wo wir herkamen, und wir hörten manche spöttische Bemerkungen. Auch später in Schwerin fuhr Winfried jedes Jahr mit seiner Kurrende im Sommer zur Singwoche. 

Anekdoten gekonnt erzählt

Eine andere Art von Singwochen waren die Wintersingwochen im Lindenhof in Kühlungsborn. Mit Hartwig Eschenburg zusammen leitete er sie viele Jahre, und jedes Jahr fuhr eine eingeschworene Clique von Jugendlichen aus dem Güstrower Domchor ebenso wie aus der Rostocker St.-Johannis-Kantorei mit. Schlafsäle für zehn Personen mit Waschschüsseln und Wasserkannen, Wald- und Strandspaziergänge, Spielabende, mancherlei kleine Streiche, und natürlich das Kennenlernen von wertvoller, wunderbarer geistlicher und weltlicher Chormusik, die Gemeinschaft zwischen Jung und Alt bei den meist 65 bis 75 Teilnehmern – es waren prägende, herrliche Wochen!
Mit 13 Jahren hatte ich bei Winfried Petersen meine erste Orgelstunde und dann auch bald Musiktheorie. Der Unterricht war immer anschaulich und mit „Beispielen aus dem Leben“ gewürzt. Oft gab es einen Exkurs in seine eigene Schüler- und Studienzeit, mit geistlichen und geistigen Themen, die meinen Horizont weiteten. Sehr beliebt bei seinen Schülern und Kollegen waren die Anekdoten, die er gekonnt und wirkungsvoll erzählte – von seinen verehrten Lehrern Georg Gothe (seinem Vorgänger in Schwerin) und Ernst Pepping (seinem Kompositionslehrer in Spandau), aber auch von manch anderer originellen Persönlichkeit oder komischen Begebenheit. 
Winfrieds Orgelspiel war lebendig und feurig. Wenn er am Schluss des Ostergottesdienstes die Bach’sche F-Dur-Toccata gespielt hatte, dann war richtig Ostern!

Kompositionen mit Überraschungen

In den 80er-Jahren gab es viele Diskussionen über „Aufführungspraxis alter Musik“. Ich erinnere mich an folgende Situation: Harald Vogel, ein hochverdienter Wegbereiter der sogenannten alten Aufführungspraxis auf der Orgel, gab ein Konzert auf der gerade restaurierten Gehrke/Herbst-Orgel von 1683 in Basedow am Malchiner See. Winfried fuhr hin, um zu hören, was es hier nun Neues gäbe – er war allem Neuen gegenüber neugierig und aufgeschlossen. Nach dem Konzert meinte er, dass es eigentlich so neu nicht wäre, sondern einfach lebendiges, wohlartikuliertes Spiel – so wie er es schon immer machte.
Durch alle seine Dienstjahre und auch im Ruhestand hat Winfried Petersen immer wieder komponiert – Choralvorspiele, Sätze für Kinderchor, Chor, Solostimmen – was gerade gebraucht wurde oder was ihm am Herzen lag. Seine Kompositionen sind praxisnah, lebendig und meistens mit kleinen harmonischen Überraschungen versehen. 
Als ich noch im Güstrower Domchor mitsang, schrieb er seine Motette über die Emmausgeschichte. Wir Chorleute erlebten den Entstehungsprozess mit, wenn einzelne Teile ausprobiert wurden. Manches erschien uns doch sehr „modern“ und schwer. Aber Winfried probte mit uns, deutete seine Musik und wenn er bei der Stelle „…mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk…“ selbst in Begeisterung geriet – dann sprang spätestens da der Funke über! Bis heute habe ich einige Passagen der Motette im Ohr, wenn ich die Geschichte von den Emmausjüngern höre oder lese. 

In der Heiligen Schrift verwurzelt

Durch seine Kompositionen, durch viele Bemerkungen zu Werken, die die Chöre sangen oder die er spielte, in vielen Gesprächen spürte man seine Verwurzelung in der Heiligen Schrift, im Glauben und in seiner Kirche. Manchmal litt er an seiner Kirche, und wenn Verflachung drohte, konnte er durchaus vehement dagegenhalten.
Diese persönlichen Erinnerungen können nicht ein überreiches, gesegnetes Leben würdigen. Seine vielen großartigen Aufführungen, seine Orgelkonzerte, die wegweisende Restaurierung der großen Ladegast-Orgel im Schweriner Dom, sein Wirken für die Mecklenburgische Landeskirche als Landeskirchenmusikdirektor mehr als 15 Jahre.
Diese Streiflichter sind ein kleiner Gruß zum 90. Geburtstag an meinen lieben Lehrer und Kollegen, dem ich viel zu verdanken habe und der meinen kirchenmusikalischen Lebenslauf entscheidend mitgeprägt hat.
Gott segne ihn und seine Familie auch weiterhin!