Ein Leben mit Wundern

Er hielt die Predigt zur Trauerfeier von Uwe Barschel und dürfte aus medizinischer Sicht eigentlich nicht mehr am Leben sein. Die Wunder seines Lebens sieht Ulrich Wilckens als Geschenk Gottes – jetzt wird der Lübecker Altbischof 90 Jahre alt.

Altbischof Ulrich Wilckens mit seiner Theologie des Neuen Testaments
Altbischof Ulrich Wilckens mit seiner Theologie des Neuen TestamentsThomas Morell

Lübeck. Er war ein renommierter Theologie-Professor und geschätzter Bischof. Ulrich Wilckens hat am 5. August in Lübeck seinen 90. Geburtstag gefeiert. Wenn auch körperlich geschwächt, publiziert er bis heute theologische Fachbücher. Derzeit schreibt er an seiner Biografie. Wenn er zurückblickt, spricht er von den zwei großen Wundern, die sein Leben geprägt haben.  
Religion habe in seiner Familie in Hamburg keine Rolle gespielt, erinnert er sich. Doch hatte Ulrich Wilckens ein echtes Bekehrungserlebnis. Als 16-Jähriger wurde er gegen Kriegsende noch eingezogen. "Ich sollte bei München die amerikanischen Panzer aufhalten." Furchtbare Angst habe er gehabt, als die Panzer näher kamen und ihn schließlich in seinem Schützengraben überrollten. Anders als die vielen Toten wurde er wie durch ein Wunder in eine Ecke gedrückt und überlebte unverletzt. 

Im Gefecht die Bibel gelesen

"Eine Freundin hatte mir vor dem Einsatz eine Bibel geschenkt." Als er sie dann mitten im Gefecht aufschlug, fand er den Satz "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden". Danach habe er die Welt mit völlig neuen Augen betrachtet und kurz darauf beschlossen, evangelische Theologie zu studieren.
Nach Stationen an den Universitäten Heidelberg und Marburg war Wilckens von 1960 bis 1968 Theologie-Professor an der Kirchlichen Hochschule Berlin. Einmal pro Woche lehrte er auch am Konvikt in Ost-Berlin. Um die Stasi auszutricksen, sei hier auf Uni-Feiern nur Latein gesprochen worden, erinnert er sich schmunzelnd. Auch habe er in dieser Zeit intensiv Marx und Lenin gelesen, um in den lebhaften Debatten mit den aufbegehrenden Studenten zu bestehen. 
Im studentischen Unruhejahr 1968 wechselte er an die Universität Hamburg – und wurde schwer enttäuscht. "Die waren einfach nur frech." Vorlesungen seien gestört worden, und in den Seminaren habe er nur selten den Stoff zu Ende gebracht. In Hamburg brachte er auch seine Übersetzung des Neuen Testamentes heraus – ein echter Bestseller, der nach Verlagsangaben eine Auflage von knapp 200.000 erreichte. 

Achtstündige Krebs-Operation

Mit 53 Jahren wurde er 1991 Lübecker Bischof. Es sei eine große Umstellung gewesen, den Glauben als Seelsorger zu vermitteln. An jedem Sonntag habe er in einer anderen Kirche Gottesdienst gefeiert. Bekannt wurde er auch durch seine Predigt 1987 zur Trauerfeier von Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU).
Als er 61 Jahre alt war, diagnostizierten die Ärzte bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs. Acht Stunden lang sei er operiert worden, und danach hätten ihm die Ärzte maximal noch ein Jahr Lebenszeit gegeben. Ein Jahr später trat er in den Ruhestand und zog mit seiner Frau Inge, ebenfalls eine Pastorin, an die Ostsee nach Weissenhaus. Dass er trotz der düsteren Prognose geheilt wurde, ist für ihn das zweite Wunder seines Lebens und ein Zeichen der Allmacht Gottes. Als Ruheständler schrieb er die sechsbändige "Theologie des Neuen Testaments". Für ihn selbst ist es sein wichtigstes Werk und sein theologisches Vermächtnis.

Zum konservativen Flügel

Ulrich Wilckens zählte immer schon zum konservativen Flügel der Nordelbischen Kirche. Abtreibungen und die Segnung homosexueller Paare lehnt er strikt ab. Sorgen bereitet ihm vor allem das geistliche Leben. Die Abendmahlsfeier im Gottesdienst als geheimnisvolle Begegnung mit Gott werde von vielen Pastoren grob vernachlässigt. Stattdessen sei die Kirche bemüht, "es allen recht zu machen". Notwendig sei eine "Revitalisierung des Glaubens".  
Mittlerweile lebt Ulrich Wilckens wieder in Lübeck, seine Frau Inge ist vor gut einem Jahr gestorben. Seine drei Töchter sowie Enkel und Urenkel leben weit verstreut. Allein kann er das Haus nicht mehr verlassen. Doch zum Gottesdienst im Lübecker Dom wird er jeden Sonntag abgeholt. Nah am Altar hat er seinen festen Platz. 
Wenn er seine Biografie schreibt, greift er zum Bleistift. Nach einem Sturz auf den Arm sei seine Schrift "etwas krakelig" geworden, räumt er ein. Seine Assistentin sei wohl die einzige, "die meine Schrift noch lesen kann." (epd)