Ein Hirte macht Praktikum bei den Schäfern

Er ist mit Tieren groß geworden und bleibt der Natur als Erwachsener verbunden: Der Lüneburger Regionalbischof Dieter Rathing hat ein Praktikum absolviert – als Schäfer.

Regionalbischof Dieter Rathing (li.) und Schäfer Ralf Bachman mit der Herde
Regionalbischof Dieter Rathing (li.) und Schäfer Ralf Bachman mit der HerdeKaren Miether / epd

Bispingen/Heidekreis. Ralf Bachmann lässt seinen Blick über die Herde schweifen. Rund 600 Heidschnucken und Ziegen grasen auf der ausgedehnten Fläche bei Bispingen in der Lüneburger Heide. Die genügsamen Tiere sind in Bewegung, während sie Gräser und Schößlinge zwischen dem Heidekraut mit ersten lila Blüten herausknabbern. "Man muss einfühlsam sein, um dabei alle im Blick zu haben", sagt Bachmann. "Und Erfahrung haben." Der 57-Jährige ist seit 39 Jahren Schäfer. Jetzt hatte er einen besonderen Praktikanten an seiner Seite, der das Hirtenamt sonst nur im übertragenen Sinne betreibt.
Der Lüneburger Regionalbischof Dieter Rathing hat den Schäfer fünf Tage lang bei seinen täglichen Runden durch den Naturschutzpark Lüneburger Heide begleitet. Seit 2011 nimmt sich der evangelische Theologe einmal im Jahr eine Woche Zeit, um in eine für ihn fremde Arbeitswelt einzutauchen. Der 61-Jährige scheut auch nicht davor zurück, zuzupacken und ein Schaf zwischen seinen Beinen festzuhalten. 

"Er erfasst, um was es geht"

"Ich bin mit Tieren groß geworden. so etwas habe ich schon als Junge gemacht", sagt Rathing. Als Lehrling in einem Beruf, den manche auch noch im fortgeschrittenem Alter ergreifen, würde er durchaus taugen, meint Bachmann. "Er erfasst, um was es geht."
Der Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide setzt sich seit mehr als 100 Jahren für den Erhalt der Lüneburger Heide ein. Ohne die sechs Schnuckenherden und die Ziegenherde, die beim Verein angestellte Schäfer wie Bachmann hüten, würde das Heidekraut schnell von Gräsern und Gebüsch überwuchert werden. Zwar kommen heute auch Maschinen in der Heidepflege zum Einsatz, wie die Leiterin Schafzucht und Beweidungsmanagement, Barbara Guckes, erläutert. Zugleich blieben aber alte Wirtschaftsformen ein Vorbild.
Nachts kommen wie schon in früheren Zeiten die Schafe in den Stall, erläutert Guckes. "In der Regel sollen sie keinen Sternenhimmel sehen." Der Vorteil dabei sei, dass die Tiere einen Teil ihres Kotes drinnen hinterließen. Er könne andernorts als Dünger verwendet werden. "Der Nährstoffkreislauf aus der Heide in den Stall, wurde schon in der alten Heidewirtschaft gepflegt." Ökologisch und hundertprozentig artgerecht würden die Tiere gehalten.
Bachmanns Schafe haben ausnahmsweise die Nacht in einem Pferch verbracht. Die Fläche, die sie an diesem Tag beweiden, liegt vom Stall zu weit entfernt. Für den Schäfer ist das ein mulmiges Gefühl, seit wieder Wölfe in der Region heimisch sind. Ob der Zaun die Jagdtiere im Zweifel fernhält, weiß er nicht. "Aber der ist nach Vorschrift", sagt Bachmann. "Falls etwas passiert, kriegen wir Ersatz."

Kampf gegen Dürre

Seine Schnucken sind inzwischen auf ein Stück Grasland weitergezogen. Hier fressen sie ausgiebig. Ruhe kehrt ein. Der Altdeutsche Schäferhund Prinz legt sich zur Abkühlung am heißen Sommertag in einen Wassergraben. "Meine Herde hat abends die Bäuche noch voll", sagt der Schäfer. Doch auf die Lagerung von Winterfutter habe die Dürre der vergangenen Wochen heftige Auswirkungen. "Diese Wiese wird üblicherweise zwei Mal im Jahr gemäht", erzählt er. In diesem Jahr war schon der erste Schnitt dürftig. Einen zweiten werde es wohl nicht geben. Seine Chefin Guckes hat frühzeitig Futter zugekauft. Doch auch sie meint: "Es wird schwierig, über den Winter zu kommen."
Auf ihre Handstöcke gestützt, kommen Schäfer und Regionalbischof ins Gespräch. Über Berufe, von denen Rathing inzwischen in viele hineingeschnuppert hat, und über Berufungen. Auch Pastoren seien der Wortbedeutung nach Hirten, sagt Rathing. Im Idealfall hielten sie wie der Schäfer die Herde die ganze Gemeinde zusammen und hätten doch jeden einzelnen im Blick. Bachmann, der Ende der 1970er Jahre über eine Landkommune zu seinem Beruf gekommen ist, sagt: "Ich habe Glück gehabt." Seine Arbeit sei in Krisen auch ein Anker gewesen. "Ein Schäfer lässt seine Herde nicht allein. Ich musste immer raus." (epd)