Ein Gottesdienst gegen „Querdenker“

In Hamburg-Bergerdorf starten angebliche „Spaziergänger“ ihre Touren direkt vor der Kirche. Darauf reagiert die Gemeinde: Erst spricht der Pastor zu den „Querdenkern“, dann feiern die Christen einen Gottesdienst unter freiem Himmel – in direkter Nachbarschaft zu der Demonstration.

Pastor Andreas Baldenius spricht auf dem Platz vor der Kirche zur Gemeinde
Pastor Andreas Baldenius spricht auf dem Platz vor der Kirche zur GemeindeTimo Teggatz

Hamburg. Die Sache hatte sich hochgeschaukelt, über viele Monate. Jeden Montag trafen sich angebliche „Spaziergänger“ auf dem Platz direkt vor der Kirche St. Petri und Pauli in Hamburg-Bergedorf, um von dort ihre Touren zu starten. Pastor Andreas Baldenius wurde ständig auf das Thema angesprochen, sowohl in seiner Gemeinde als auch in der Bergedorfer Öffentlichkeit. „Irgendwann war der Punkt erreicht, wo zu schweigen genauso problematisch gewesen wäre wie aktiv zu werden“, erzählt der Theologe.

Also handelt Baldenius. Am Montag nach Weihnachten geht er auf die „Querdenker“ zu, als sie sich mal wieder vor seiner Kirche versammeln. Er bittet darum, eine kurze Rede halten zu dürfen. Und der Versammlungsleiter willigt ein. Keine fünf Minuten redet der Theologe, ruft dazu auf, sich wissenschaftlich fundiert zu informieren. Immer wieder wird er niedergebrüllt, immer wieder sorgt der Versammlungsleiter für Ruhe. So berichtet es Baldenius.

„Abgekoppelt vom demokratischen Diskurs“

Die kurze Ansprache hat Konsequenzen. In den folgenden Tagen wird der Pastor mit Hassnachrichten überschüttet, auf allen möglichen Kanälen. Doch Baldenius löscht sie nicht einfach, sondern versucht, mit den Absendern in Kontakt zu kommen. Ein Vorhaben, das er irgendwann aufgeben muss. Man komme einfach auf keine gemeinsame Informationsgrundlage. „Diese Leute sind abgekoppelt vom demokratischen Diskurs“, sagt er.

Mit Transparenten zogen die "Querdenker" durch die Straßen
Mit Transparenten zogen die "Querdenker" durch die StraßenTimo Teggatz

Inzwischen ist das Thema groß geworden in Bergedorf. Deshalb kommt der Kirchengemeinderat am Neujahrstag zu einer Sondersitzung zusammen und beschließt, ein Zeichen setzen zu wollen: ein Gottesdienst unter freiem Himmel, am Montag um 17 Uhr. Genau zur gleichen Zeit starten die „Querdenker“ ihre Demonstration, direkt neben der Kirche.

„Hallelujah“ als Provokation

So kommt es am Montag zum Aufeinandertreffen. Direkt vor der Kirche stehen die „Spaziergänger“, von 80 Teilnehmenden spricht die Polizei, wobei einige die Maskenpflicht ignorieren. „Hände weg von unseren Kindern“ und „Milliardäre profitieren“ steht auf ihren Transparenten. Bevor sich ihr Zug in Bewegung setzt, spielen sie laut Leonard Cohens Lied „Hallelujah“ – was als Provokation gedacht ist.

Doch die Gemeinde lässt sich nicht provozieren. Das Gottesdienst-Team wartet einfach ab, bis die „Querdenker“ um die Ecke verschwunden sind. Dann beginnt der Gottesdienst mit 300 bis 400 Besuchern, so schätzt die Polizei später. Der Platz ist voll, Baldenius hoch erfreut über den großen Zuspruch.

Kein wöchentlicher Gottesdienst

Baldenius und Pastorin Chang-Mi Dallat sprechen nur kurz zur Gemeinde. Der Gottesdienst wird zum großen Teil von Ehrenamtlichen der Gemeinde gestaltet, die das Hohelied der Liebe verlesen und auch die Fürbitten sprechen. Gedacht wird vieler Gruppen, denen die Pandemie zu schaffen macht – etwa Obdachlosen, Pflegekräften, Kranken, Hinterbliebenen und Polizeikräften. Die Gemeinde spricht das „Glaubensbekenntnis in schweren Zeiten“ von Dietrich Bonhoeffer, der Posaunenchor, unterstützt aus Nachbargemeinden, spielt „Von guten Mächten treu und still ergeben“.

Von viel Zustimmung und positivem Feedback zum Gottesdienst erzählt der Bergedorfer Pastor anschließend. Zu einer wöchentlichen Einrichtung solle der Gottesdienst unter freiem Himmel aber nicht werden. Das würde den „Querdenkern“ zu viel Aufmerksamkeit bringen, sagt Baldenius.