Ein gewobener Kosmos

Weiße Seidenspinner-Motten umflattern im Mondlicht Spinnennetze. Doch sie scheinen sich nicht darin zu verfangen, sondern vielmehr mitzuweben an einem großen Geflecht aus Lichtstrahlen, Gräsern und Spinnweben. Dabei ist das gesamte Bild selbst ein wandfüllendes Gewebe: Eine von Kiki Smith entworfene Tapisserie. Mit ihren Werken schafft die US-Künstlerin einen Kosmos, in dem sich Bedrohungen auflösen und Menschen und Tiere sich miteinander verbinden. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck widmet der äußerst vielseitigen Künstlerin seit Sonntag eine Werkschau.

Die Ausstellung „Kiki Smith. Verwobene Welten“ vereint 54 Werke der Künstlerin. Dabei zeigt sich, dass die 70-Jährige mit unterschiedlichsten Materialien und Techniken umzugehen weiß. Präsentiert werden sowohl massive Bronze-Plastiken als auch filigrane Skulpturen aus Edelmetallen, Holz und Porzellan. Daneben sind Druckgrafiken, Zeichnungen und Collagen zu sehen. Den Mittelpunkt der Schau, die bis zum 20. Oktober zu sehen ist, bilden neun der insgesamt zwölf Wandteppiche, die Smith seit 2011 hergestellt hat, und die dazugehörigen Entwürfe auf Papier.

Kiki Smith gilt als eine der einflussreichsten feministischen Künstlerinnen ihrer Generation. In ihrer Bilderwelt geht es um den engen Zusammenhang zwischen Mensch, Natur und Universum. Smith greift immer wieder Motive aus der Bibel, aus Mythen und Märchen auf.

Sie wolle in der Ausstellung im Arp Museum vor allem zeigen, wie ihre Bilder und Motive von einer Arbeit in die andere wandern, erklärt Smith. In den Wandbehängen scheint sich der Kosmos der Künstlerin zu konzentrieren: Menschliche Figuren verschmelzen mit einem Gewebe aus Wurzeln oder einem Sternenhimmel. Die Bilder sind bevölkert von Tieren und Pflanzen. Die Darstellungen erinnern an paradiesische Szenen, in denen Mensch und Tier in Harmonie koexistieren.

Die Vertreibung aus dem Paradies ist ein Thema, das die Künstlerin immer wieder aufgreift und dabei neu interpretiert. Die Tapisserie „Earth“ zeigt Eva auf einem Baumstamm stehend, während die Schlange einen schützenden Rahmen um sie bildet. Eine kleine Porzellanskulptur stellt eine Frau in zärtlicher Umarmung mit einer Schlange dar. „Ich sehe es so, dass es nur wegen der Schlange und Eva, die den Apfel isst, irgendeine Art spirituellen Lebens auf der Erde gibt“, erklärt Smith. „Es geht bei dem Apfel darum, dass er uns die Möglichkeit gibt, zu wachsen.“

Die christliche Symbolik deutet Kiki Smith mit der großformatigen Zeichnung einer Frau in der Haltung des gekreuzigten Jesus um. Im Gegensatz zum Gekreuzigten ist die nackte Frau unverletzt und auch nicht an Balken festgenagelt. Vielmehr scheint sie im Raum zu schweben. Und während auf einem ihrer ausgebreiteten Arme Vögel sitzen, wächst aus dem anderen eine zarte Pflanze.

Neben mythologischen Tieren wie Schlange oder Eule tauchen auch Wölfe immer wieder in Smiths Bildwelten auf. Dabei bezieht sich die Künstlerin unter anderem auf das Grimm-Märchen „Rotkäppchen“, in dem der böse Wolf Großmutter und Enkelin frisst. Im Märchen befreit ein Jäger die beiden Frauen aus dem Bauch des Tiers. Smith hingegen schuf mit „Rapture“ eine lebensgroße weibliche Bronze-Figur, die aus eigener Kraft aus dem offenen Bauch eines Wolfes zu steigen scheint.

Die Beschäftigung mit einem deutschen Märchen kommt für Kiki Smith nicht von ungefähr. Zu Deutschland hat die Künstlerin einen persönlichen Bezug. Sie wurde 1954 in Nürnberg geboren, wo ihre Mutter, die Opernsängerin Jane Lawrence Smith, ein Engagement hatte. Die Künstlerin wuchs in den USA auf. Geprägt wurde sie durch ihren Vater, den US-Bildhauer Tony Smith, durch den sie schon als Kind mit Protagonisten des abstrakten Expressionismus wie Jackson Pollock oder Mark Rothko in Berührung kam.

Nach einem kurzzeitigen Studium an der Hartford Art School im US-Bundesstaat Connecticut, entwickelte Smith ihr Werk weitgehend autodidaktisch. Die Künstlerin lebt in New York. Ihr Werk wurde international bereits in 25 Einzelausstellungen gezeigt.