Eine Kinderhand drückt zögerlich die Tasten des Klaviers: „Freude, schöner Götterfunken!“ erklingt – jeder Ton einzeln, suchend, fast wie eine Frage. Das Video des Pariser Künstlers Tarik Kiswanson empfängt die Besucher am Ende der Treppe im ersten Stock des Münchner NS-Dokumentationszentrums, das ab Donnerstag (30. Oktober) zu einer Ausstellung über den Nachhall des Kriegs einlädt. „…damit das Geräusch des Krieges nachlässt, sein Gedröhn“, mit diesem Zitat der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras (1914-1996) ist die Schau von zwölf zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern übertitelt. Sie zeigen, dass Kriege neben Kampfjet-Lärm oder Bombenexplosionen eben auch das erzeugen: lastende Stille, lähmendes Schweigen, zarte Musik.
Vom Schweigen der Holocaust-Überlebenden zum Beispiel erzählt der Film der 2015 verstorbenen Regisseurin Chantal Akerman. 1980 besuchte sie drei jüdische Frauen in ihren Pariser Wohnungen, die über ihr Leben, ihre Familien und ihren Alltag sprachen. Dabei sind die Leerstellen, die Auslassungen und Pausen im Gespräch genauso bedeutsam wie das Gesagte. „Es gibt nichts zu erzählen“, habe Akermans Mutter über ihre Zeit im KZ Auschwitz stets gesagt, berichtet Ausstellungskuratorin Juliane Bischoff. Gerade dieses Schweigen sei „bezeichnend für die Erzählung über Kriegserfahrungen“.
Der Zweite Weltkrieg ist im Foyer des NS-Dokuzentrums Ausgangspunkt der Ausstellung. Neben Akermans Film ist dort auch die Installation von Antalya Laufer (1979) zu sehen, die die bruchstückhaften Erinnerungen ihres Vaters an seine Zeit auf dem Flüchtlingsschiff „Exodus 1947“ auf zarten Stoffbahnen inszeniert. Im ersten Stock stehen andere Kriege im Fokus: Jugoslawien, Irak, Kongo, Kurdistan, Vietnam. Viele Kriege nach 1945 seien „Nachwirkungen der Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg“ gewesen, sagt Direktorin Mirjam Zadoff. Das Geräusch des Krieges habe somit seit 1945 nie mehr abgenommen, viele Menschen trügen es mit sich in ein neues Leben oder eine neue Heimat.
Und so sind die Themen Flucht und Migration zwei weitere rote Fäden der Ausstellung, die sich zwangsläufig aus dem Hauptthema ergeben. „Krieg erzeugt immer Bewegung, der öffentliche Raum ist nicht mehr sicher, Menschen können nicht bleiben, wo sie sind“, fasst Zadoff zusammen. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, an das in diesem Jahr vielfach gedacht worden sei, werde offenbar, dass die mit der Nachkriegsordnung verbundene Hoffnung auf globalen Frieden unerfüllt geblieben ist.
Das spiegelt sich auch in den Biografien der Künstler, die alle selbst zur zweiten oder dritten Generation von Kriegsbetroffenen zählen: Chantal Akerman berichtet aus der Perspektive der Tochter einer Shoah-Überlebenden. Selma Selman (1991) erzählt die Geschichte ihrer Mutter, die 1994 im bosnischen Bihać Traumatisches erlebt hat. Sung Tieu (1987) setzt Material des US-Militärs aus dem Vietnamkrieg den spirituellen Traditionen der eigenen Familie entgegen.
Und Tarik Kiswanson (1986), als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in Schweden geboren, schaut auf die Kinderhände in der Musikschule des Pariser Brennpunktviertels Saint-Denis: Sie haben die Farbe von Zartbitterschokolade oder Milchkaffee, sie transportieren Erinnerungen an eine oft aus Not verlassene Heimat sowie die Hoffnung auf eine Perspektive für ihr Leben. Und sie spielen – manche zögerlich, manche energisch – die Europa-Hymne, Beethovens „Ode an die Freude“, die ein Versprechen ist, das sich nicht für jeden von ihnen erfüllt. (3382/29.10.2025)