Ein exzentrischer Ultraliberaler

Seine erste Rede als gewählter Staatschef von Argentinien liest Javier Milei vom Blatt. „Unser Land braucht einen drastischen Wandel, nicht schrittweise, nicht lauwarm“, sagt er vor jubelnden Anhängern. Der 53-jährige ultrarechte Ökonom gewann die Stichwahl am Sonntag mit 55,7 Prozent gegen den peronistischen Wirtschaftsminister Sergio Massa sensationell klar. Sich selbst definiert er als „liberal-libertären Präsidenten“.

Der Senkrechtstarter Milei wurde durch TV-Shows bekannt, Beschimpfungen sind sein Markenzeichen. Den argentinischen Papst Franziskus bezeichnete er in frühen öffentlichen Auftritten als Kommunisten und „Vertreter des Bösen im Haus Gottes“. Die Erhebung von Steuern, für die von Franziskus befürwortete Umverteilung von Einkommen, sei Diebstahl. Im Wahlkampf ruderte er zurück, die Attacken galten nun seinen politischen Konkurrenten.

Seine exzentrische Persönlichkeit machte den Mann mit der zerzausten Helmfrisur zum Medienstar. Mal zog er mit seinen vier geklonten, nach liberalen Ökonomen benannten englischen Doggen in ein Fernsehstudio, mal stilisierte er sich als Comicfigur namens General Ancap (Anarchokapitalist) mit gelbschwarzem Kostüm und goldenem Dreizack. Seine Freundin, ein Fernsehstarlet, parodiert gerne Evita Perón oder Ex-Präsidentin Cristina Kirchner.

Mileis Biografie „Der Verrückte“ von Autor Juan Luis González avancierte zum Bestseller. Demnach litt der künftige Staatschef unter gewalttätigen Eltern und wurde zum zurückgezogenen Sonderling. Sein Spitzname stamme aus der Zeit als Fußballtorwart und Sänger einer Rolling-Stones-Coverband. „Milei ist überzeugt, dass er mit seinem toten Hund redet“, meint González. „Er ist ein instabiler Führer für ein instabiles Land.“

Vor dem ersten Wahlgang im Oktober schwang Milei bei seinen Auftritten gerne eine Kettensäge – als Symbol dafür, dass der Staat radikal zusammengestutzt werden müsse. Nur acht Ministerien sollen übrig bleiben. Als Ausweg aus der Inflation, die derzeit 143 Prozent beträgt, möchte er die Landeswährung Peso durch den US-Dollar ersetzen – ein Experiment, das bereits Ende 2001 in einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und sozialen Unruhen endete. Außerdem will er die Zentralbank abschaffen. Ob er mit seiner kleinen Fraktion Mehrheiten im Parlament für derartige Veränderungen organisieren kann, bleibt abzuwarten.

Derweil kultiviert der Klimaleugner und Bewunderer von Ex-US-Präsident Donald Trump mit seinen Ankündigungen genussvoll die Provokation: Freier Verkauf von Schusswaffen, legaler Organhandel, erneute Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten Wochen, Privatisierung von Flüssen. Und wie die zukünftige Vizepräsidentin Victoria Villarruel, die aus einer Familie von Militärs stammt, verharmlost Milei den Staatsterrorismus der letzten argentinischen Diktatur (1976-83).

Milei und Villarruel sehen auch Brasiliens früheren Staatschef Jair Bolsonaro oder Spaniens rechtsextreme Partei Vox als Verbündete. Ihr klarer Sieg war nur durch eine Allianz mit der traditionellen Rechten unter Ex-Präsident Mauricio Macri möglich, die im ersten Wahlgang auf Platz drei gelandet war.

Entsprechend gemäßigt, ja staatstragend gibt sich nun Milei. So war die Privatisierung des Bildungs- und Gesundheitswesens im Wahlkampf-Endspurt kein Thema mehr. Seine Verteidiger beschwichtigen, seine Gegner befürchten dennoch einen Kahlschlag gegen den Sozialstaat und sehen die Demokratie in Gefahr.

Vermutlich haben jene Recht, die Mileis Sieg weniger seinem „Programm“ zuschreiben, sondern vor allem der verheerenden Regierungsbilanz der notorisch zerstrittenen und oft korrupten Peronisten unter Präsident Alberto Fernández, der gar nicht erst angetreten war.

In seiner Siegesrede zählte der Ultraliberale folgende „monumentale Probleme“ auf: „Inflation, wirtschaftlicher Stillstand, das Fehlen echter Arbeitsplätze, Unsicherheit, Armut und Elend“. Ob er dagegen die richtigen Rezepte und das nötige politische Geschick hat, wird sich ab dem 10. Dezember zeigen, wenn er sein Amt antritt.