Ein Bischof machte die Reichenau berühmt

Wie es vor 1.300 Jahren genau zugegangen ist, als der wandernde Bischof Pirmin vom Festland auf die Insel übersetzte, das weiß niemand. Was aber feststeht, ist die Erzählung, die sich um die Landnahme des fränkischen Gottesmannes rankt: Demnach ließ sich Pirmin mit einem Boot den Rhein hinauf rudern und auf der Reichenau absetzen.

Die Insel war damals öd und unbebaut. Damit begann nicht nur die durchgängige Besiedlung der bekannten Insel am Bodensee – mit ihr fasste buchstäblich das Christentum in diesem Zipfel des alemannischen Herzogtums Fuß.

Für Pirmin, der später heiliggesprochen wurde, war es ein kleiner Schritt; für die gesamte Region ein gewaltiger Sprung. Seit der Gründung im Jahr 724 entwickelte sich das Kloster zu einem Ort mit ungewöhnlicher Strahlkraft. Die Benediktiner im heutigen Ortsteil Mittelzell bauten einen mächtigen steinernen Konvent mit einer Klosterkirche. Der Adel schickte seine Söhne zur Ausbildung in die Klosterschule. Besonders fähige Mönche dienten König und Kaiser als Diplomaten.

Und das Genie Hermann der Lahme (1013- 1054) betätigte sich in fast allen Disziplinen, die das hohe Mittelalter kannte – von Astronomie bis Musik. Im Skriptorium wurden Messbücher geschrieben und Evangeliare ausgemalt. Reichenauer Schreiber und Buchmaler genossen auch jenseits des Bodensee einen hervorragenden Ruf. Doch befinden sich diese Unikate aus der Werkstatt der Mönche heute nicht mehr auf der Insel. Sie lagern in der Badischen Landesbibliothek.

Eines der bekanntesten Werke aus der Schreibstube ist der sogenannte St. Galler Klosterplan. Er wurde säuberlich auf der Reichenau gezeichnet und den Brüdern ins benachbarte Kloster geschickt – als Handreichung, wie ein ideales Kloster zu bauen sei. Wie aktuell die Skizze aus dem Jahr 830 ist, zeigt das Projekt Campus Galli („Feld des Gallus“): Ein Verein in Meßkirch bei Sigmaringen arbeitet seit zehn Jahren daran, den Plan in die Wirklichkeit zu bringen.

Doch erlahmte die schöpferische Kraft der Reichenauer Mönche bereits im hohen Mittelalter. Der Konvent wurde zunehmend zum Adelsstift – mit der Folge, dass keine bürgerlichen Brüder und Patres aufgenommen wurden. Das brachte den Niedergang. Als die Reformation über das Bistum Konstanz hinwegfegte, waren die personellen Quellen des frühen Kraftorts bereits versiegt.

Ein Abt hatte sogar dafür gesorgt, dass Güter und Rechte an seine Verwandtschaft gingen. 1540 verzichtete Abt Markus von Knöringen auf die Leitung der einstmals so selbstbewussten Einrichtung und übergab die Schlüssel an den Bischof von Konstanz – bisher sein Konkurrent.

Wo die geistliche Kraft schwächelte, wuchs anderweitig Neues. Die klostereigenen Bauern übernahmen die Insel und bauten die Gärten aus. Auch dafür gab es monastische Vorbilder. Schon früh hatte der Mönch Walahfried Strabo sein berühmtes Buch Hortulus („Gärtlein“) geschrieben. Darin listet er 24 Pflanzen und Kräuter auf, deren Anbau er für den idealen Garten empfiehlt.

Sie werden bis heute jedes Jahr eingesät. Daneben hat sich die Au (wie die Einheimischen sagen) zur Gemüseinsel entwickelt. Während die Schwesterinsel Mainau wegen der Blumen besucht wird, radeln Touristen auf die Reichenau, um dort frische Tomaten zu kaufen. Kritiker wenden ein, dass die Insulaner zu viel umtreiben: den Anbau von Gemüse in dominanten Gewächshäusern, Weinbau auf 22 Hektar und die Pflege des Klostererbes.

Tatsächlich erscheint es immer wieder als Quadratur des Kreises, auf einer 4,5 Kilometer langen Insel so viele Aufgaben zu erfüllen. Der Wohnraum ist knapp, Bauplätze gibt es nur durch Einheirat oder Erbschaft. Umso stolzer sind die Insulaner darauf, dass die Reichenau im Jahr 2000 in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen wurde.

Auch das erloschene klösterliche Leben blüht wieder auf. 2001 wanderten zwei Benediktiner ein. Der Pionier Pater Stephan bildet heute zusammen mit zwei Mitbrüdern die Cella St. Benedikt – ein Minikloster, das im Pfarrhaus von Niederzell seinen Platz gefunden hat.

Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) macht der Insel-Seelsorger Pater Stephan deutlich, worum es bei dem Jubiläum geht: Pirmin sei vor 1300 als Bischof und nicht als PR-Mann auf die Insel gekommen, und: „Pirmin wollte an denjenigen erinnern, der als Gott Mensch geworden ist.“ (0105/18.01.2024)