Ein Arbeitstag mit Perspektivwechsel

Menschen mit und ohne Behinderung in Fürstenwalde tauschten eine Tag lang ihre Arbeitsplätze

Am 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Wie weit sind wir mit der Gleichstellung? In Fürstenwalde wagt man einen Modellversuch.

Von Uli Schulte Döinghaus

Moses heißt ein Modehaus mitten in Fürstenwalde. Verkäuferinnen eilen zwischen den Kleiderstangen und ­Regalen umher, beraten Kundinnen, bedienen die Kasse. Steffi Mittenzwei, stellvertretende Filialleiterin, kümmert sich heute um einen Praktikanten und eine Praktikantin aus den Fürstenwalder Christophorus-Werkstätten. Sie gehören zu den ­diakonischen ­Samariteranstalten und beschäftigen 350 Menschen mit Behinderung. 

Bei Moses hat sich Praktikantin A. schon ein wenig mit dem Online-Handel vertraut gemacht. Sie mustert die Bestellungen von Kunden im Display eines Handys, geht zu den Regalen und Kleiderkarussells, um Kleider, Blusen, Hemden für den Versand vorzusortieren. Ihr männ­licher Kollege hat sich für einen leuchtendroten Rock und eine lindgrüne Bluse entschieden, die er prüfend gegen das Licht aus dem Schaufenster hält. „Gute Wahl!“, sagt Steffi Mittenzwei. Die Kombination passt zum Frühling und wird in Kürze eine Schaufensterpuppe kleiden – eine der Aufgaben, die sich das Moses-Team und seine Praktikanten für den Tag gestellt haben. 

Wie schon im vergangenen ­September findet ein sogenannter ­Perspektivwechsel statt. Motto: ­Menschen mit und ohne Behinderung tauschen für einen Tag ihren Arbeitsplatz. Diese Initiative geht zurück auf das Projekt „Pass­genau“ der Fürstenwalder Christophorus-Werkstätten. Es soll den dort Beschäftigten durch Job-Coaching den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt ­erleichtern. Solche Übergänge sind immer noch die Ausnahme. Zu wenig bekannt und mit Vorbehalten überfrachtet sind die Möglichkeiten, ­behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außerhalb der Werkstätten zu beschäftigen. 

Im Trend mit dem Angebot

Umso verdienstvoller, wenn sich ­soziale Träger und heimische Geschäftswelt probeweise darauf ­einlassen, einen Tag lang ihre Jobs zu tauschen. So war es neulich auch in Fürstenwalde. Örtliche Betriebe, etwa das Modehaus, eine Groß­wäscherei oder ein Agrarhandel, ein Baustoffhandel, das Heimatmuseum oder eine Altenpflegeeinrichtung entsandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Gewerbegebiet Tränkeweg im Süden von Fürstenwalde. Dafür arbeiten Kolleginnen und ­Kollegen aus den Christophorus- Werkstätten in Betrieben des sogenannten ersten Arbeitsmarktes, die sie sich zuvor ausgesucht hatten.

„Zu wenig wissen die einen über die anderen“, sagt Projektkoordinatorin Jana Pahlke, „das wollen wir ändern.“ Sie und Jobcoach Jane Einhorn betonen die Vorteile für alle Beteiligten, wenn es um sogenannte ausgelagerte Arbeitsplätze für Arbeitnehmer mit Behinderung geht – ein Trend im Arbeitsmarkt. Das ­bedeutet: Die Christophorus-Werkstätten „verleihen“ an heimische Firmen des ersten Arbeitsmarktes behinderte Beschäftigte, die aber weiterhin unter dem Dach des sozialen Trägers angestellt sind. Sie bleiben in der Gemeinschaft ihrer Werkstatt, auch weil sie dies so wünschen.

„Gute Arbeit“

Längst gibt es wirtschaftliche Kooperationen mit dem heimischen Gewerbe. So lässt ein Fürstenwalder Autohaus Fahrzeuge in den Christophorus-Werkstätten nach Reparaturen waschen, pflegen und polieren. Selbst kleinere TÜV-Auf­lagen können hier abgewickelt werden. Die Geschäfte gehen so gut, dass bis Ende Juli die Auftragsbücher voll sind. Fachmännisch unterhält sich Automechaniker Daniel Löper aus der VW-Werkstatt mit einem Kollegen aus der Christophorus-Werkstatt, der mit einem Mikrofasertuch die Pflegearbeiten an einem silbergrauen Fahrzeug abschließt. „Gute Arbeit“, sagt Löper.

Daniel Löper arbeitet dafür heute in den Christophorus-Werkstätten. Er  schließt sich einer ­Führung durch deren einzelne Bereiche an. In der ­industriellen Montage werden Auftrags­arbeiten verschiedener Unternehmen erledigt, nicht selten unter einem gewissen Termindruck. In Druckerei, Holzwerkstatt und Keramik kommt Kreativität zum Zuge, aber auch Farben- und Formensinn. Gastpraktikant Löper staunt über ein Spielzeug aus daumendicken, bunten Kissen. „Das wäre was für meinen kleinen Sohn“, sagt er und sieht sich im Keramikbetrieb um, wo ordentlich etwas los ist. Man will am Wochenende Floh- und Frühlingsmärkte in der Nachbarschaft beliefern.