Durstig bleiben

Über den Durst nach Gerechtigkeit schreibt Albrecht Jax. Er ist Pastor in Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern).

Die Worte Wasser und Bach lösen bei mir reflexartig ein Gefühl aus, das ich habe, wenn ich im Sommer nach einer anstrengenden Bergwanderung an unsere kleine Quelle, einen Bach in Dalhaugen in Norwegen, trete, mit der hohlen Hand eiskaltes Wasser schöpfe und mich erfrischen kann. Was kann schöner sein, wenn man großen Durst verspürt?
Nun, Durst kann unterschiedliche Facetten haben: Ich höre die Worte über die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Dieser Durst ist nicht mit einer Handbewegung zu stillen.
Zumal mir im Moment scheint, dass auch in unseren Gemeinden die Inhalte dieser Begriffe dehnbar geworden sind. Die Frage nach dem, was ist recht, wird zur lautsprecherischen Ansage: Ich habe immer Recht. Gerechtigkeit gilt immer nur für den eigenen Horizont, nicht für die anderen. Und viele Menschen in unseren Gemeinden gewinnen den Eindruck, dass Kirche nur noch an Paragrafen hängt, anstatt um die Mitte, die doch Christus ist, zu kreisen.
Ob der Prophet Amos dies meint, wenn er wettert, dass er all dies Gehabe, dieses sich selbst feiern verabscheut und die Verhältnisse damals (und heute) anprangert? Wie gut, das Prophetenworte nichts von ihrer Treffsicherheit einbüßen! Wie gut, dass es diese Infragestellungen gibt!
Und ich frage mich: Gelten sie auch für unser Um-uns-selbst-kreisen in den vielen Debatten, die doch die Zukunft unserer Kirche im Blick haben wollen und dabei doch allzuoft im persönlichen Befinden enden? Geht uns in all unserem Bemühen um eine lebensfähige Kirche nicht der Blick für das große Fest, zu dem wir eingeladen sind, verloren? 
Mein Hals wird trocken. Und ich möchte weiter durstig bleiben, in seinem Recht ausgerichtet sein und bleiben, meine Sehnsucht nach einem anderen Miteinander in unserer Kirche weiter leben, nicht aufgeben und nicht aufhören, von diesem Strömen und Rinnen Seiner Gerechtigkeit zu erzählen. Und dann und wann möchte ich auch einfach mit der hohlen Hand Wasser schöpfen und spüren: Dieser Bach versiegt nie.
Unser Autor
Albrecht Jax
ist Pastor in Bad Doberan.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.