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Durch Erinnerung und Nostalgie Geschichte erleben

Mehr Anfassen, mehr Mitmachen, mehr Staunen – das Bonner Haus der Geschichte hat sich mit seiner veränderten Dauerausstellung ein Stück weit neu erfunden. Bei der Eröffnung holte die Aktualität das Geschehen schon ein.

Julia ist eine ganz normale Teenagerin ihrer Zeit. Sie interessiert sich für Musik – unter anderem Take That, die Spice Girls und Tic Tac Toe – und auch der Kinofilm “Titanic” mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet hat es ihr angetan. Poster ihrer Idole schmücken die Wand hinter ihrem Schreibtisch – oder haben es zumindest früher. Denn Julias Kinderzimmer ist inzwischen umgezogen, vom Elternhaus ins Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Das typische Jugendzimmer um die Jahrtausendwende ist nur eines der rund 3.850 Objekte, die sich in der neuen Dauerausstellung des Museums in der alten Bundesstadt befinden. Im Herbst 2024 hatte das Haus der Geschichte seine Pforten zur Neukonzeption geschlossen. Am Montag erfolgte nun die feierliche Neueröffnung der Dauerausstellung.

Dabei zeigt das Beispiel des genannten Schreibtisches sehr gut, wie das Konzept des Museums funktioniert. Es spricht die persönliche Erfahrung der Besucherinnen und Besucher an. Durch Erinnerungen – und natürlich auch ein nicht unerhebliches Maß an Nostalgie – hauchen die ausgestellten Alltagsgegenstände der bundesdeutschen Geschichte eine persönliche Note an.

Plakativ dafür steht auch der Titel der neuen Ausstellung: “Du bist Teil der Geschichte”. Den Verantwortlichen sei es für die Neukonzeption wichtig gewesen, “die weltpolitischen Themen mit biografischen Zugängen zu verweben”, erklärte der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Harald Biermann, beim Festakt zur Wiedereröffnung. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wie Julia, die ihren Schreibtisch zur Verfügung stellte, bildeten deshalb mit ihren eigenen Geschichten im geteilten und wiedervereinten Deutschland den Dreh- und Angelpunkt.

Insgesamt habe sich die Aufteilung geändert, sagte Biermann. “In der alten Dauerausstellung war für die Jahre von 1945 bis 1949 genauso viel Platz wie für die Zeit von 1990 bis heute.” Der Zeit weiter zu folgen sei deswegen zunehmend ein Platzproblem geworden. Deswegen entschieden sich die Verantwortlichen für eine Neuaufstellung: Die Ausstellung wurde bis auf zwei Objekte, zwei Teile der Berliner Mauer, komplett leer geräumt. Im neuen Konzept sollten auch Themen wie Migration, Digitalisierung, Klimawandel und Corona-Pandemie mehr Platz erhalten.

Für die neue Ausstellung ist die Zahl Fünf dabei entscheidend: Sie gliedert sich in fünf klar strukturierte Zeiträume der bundesdeutschen Geschichte, setzt fünf Schwerpunktthemen und arbeitet dafür mit fünf künstlerisch gestaltenden Metaphern.

Eine große Neuerung ist vor allem der Ausbau der Mitmach-Formate. Die schon aus der vorherigen Ausstellung bekannte Bundestagssimulation mit Abstimmungsmöglichkeit ist auch im neuen Komplex wieder enthalten. Doch daneben finden sich auch weitere interaktive Medienstationen, die historische Prozesse erlebbar machen sollen. Auf einer Videowand mit Touchscreen kann sich beispielsweise jeder Besucher mit einem Handabdruck in seinem Geburtsjahr verewigen. “Wir wollten digitaler, inklusiver und interaktiver werden”, so Biermann.

Neu ist auch das Ende der Ausstellung. Dieses dreht das Ausstellungsmotto mit der Aussage “Geschichte ist ein Teil von dir” um. “Die Botschaft ist simpel und komplex zugleich”, sagte Biermann. Im nicht kuratierten Schlussraum “Heute” solle gezeigt werden, wie Geschichte im Moment funktioniert. Dazu sind Besucherinnen und Besucher aufgefordert, selbst mitzuhelfen, etwa Themen oder Gegenstände aufzuschreiben, die aus ihrer Sicht in das Alltagsmuseum gehörten.

Bei der Eröffnung am Montag wurde dann noch die Geschichte von der Aktualität eingeholt. So stehen am Ende der kuratierten Ausstellung der Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf Deutschland. “Eine dieser Auswirkungen bekommen wir heute ganz unmittelbar zu spüren”, erklärte Biermann. Ursprünglich war nämlich vorgesehen, dass Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Eröffnungsrede halten sollte. Dieser musste jedoch kurzfristig absagen, um zu Gesprächen mit Vertretern aus Großbritannien, Frankreich und der Ukraine nach London zu reisen.

Die Festrede hielt deswegen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos), der zuvor als erster Besucher durch das Museum geführt worden war. Für den 1964 geborenen “Boomer” fühle sich der Gang durch die Ausstellung an “wie ein faszinierendes Familienalbum und Tagebuch”. Weimer appellierte gleichzeitig dazu, sich trotz aller Krisen ermutigen zu lassen durch das, was in der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen erreicht worden ist. “Mit dieser Ausstellung wird auch die schiere Dimension unserer demokratischen Zeitgeschichte sichtbar. Denn 80 Jahre Frieden hat es in der deutschen Geschichte selten, wenn nicht noch nie gegeben.”