Durch den Magen direkt ins Herz

Schon seit 11 Uhr Mittag macht Markus Schacht die Tür ständig auf und zu und lässt Gäste eintreten. Der Bankkaufmann aus der evangelischen St. Matthäusgemeinde hat sich zusammen mit seiner Frau ein paar Tage Zeit genommen, um bei der ersten Augsburger Vesperkirche, die noch bis 17. März in St. Paul stattfindet, mitzuhelfen: die täglich bis zu 400 Essen ausgeben, Geschirr abräumen und so weiter. Mit ihnen packen rund 160 weitere Ehrenamtliche mit an. An diesem Mittag stehen Schweinebraten mit Klößen sowie Dampfnudel mit Vanillesoße auf dem Speiseplan. Gezahlt werden muss mindestens ein Euro, wer mehr geben will, darf gerne spenden.

Seit 1995 die erste Vesperkirche in Stuttgart stattfand, sind deutschlandweit über 70 solcher traditionell evangelischer Projekte entstanden. Menschen kommen im Kirchenraum zusammen, um für einen symbolischen Preis gemeinsam zu essen und Gemeinschaft zu erleben. In Bayern gibt es Vesperkirchen bereits in Schweinfurt, Nürnberg, Würzburg, Memmingen – und nun auch Augsburg. Das Besondere: Die Augsburger Ausgabe ist die erste ökumenische Vesperkirche Bayerns.

Der katholische Stadtdekan Helmut Haug freut sich sichtlich, strahlt, als er vielen Menschen, unter denen er auch Gemeindemitglieder erkennt, sieht: „So stelle ich mir Kirche vor.“ Die Augsburger Vesperkirche ist zwar federführend ein Projekt des evangelischen Stadtdekanats, beteiligt ist neben der Diakonie und der Stadt Augsburg diesmal aber auch das katholische Bistum – ein Novum in Bayern. Auch der evangelische Dekan Frank Kreiselmeier zeigt sich zufrieden. Er freue sich, dass Augsburg als Pilotprojekt die erste ökumenische Vesperkirche im Freistaat sei.

Die 1964 eingeweihte Kirche mit ihrer Backsteinoptik wirkt derzeit wie eine große Mensa, in der Vierertische mit Stühlen statt Kirchenbänken stehen. Platz genommen hat eine kunterbunte Augsburger Stadtgesellschaft: Seniorinnen und Senioren, junge Leute oder Anzugträger – alle mal mehr oder weniger wohlhabend. „Man setzt sich einfach an einen freien Platz und kommt miteinander ins Gespräch. Das tut so gut in dieser Zeit, die von Argwohn und Spaltung geprägt ist“, meint Pfarrerin Marianne Werr.

An der Essensausgabe steht diesmal auch die U23-Mannschaft des FC Augsburg, um mitzuhelfen. Sogar das zweite Training haben sie für ihren ehrenamtlichen Einsatz sausen lassen. „Es ist eine ungeheure Bereicherung für den eigenen Horizont und erdet einen“, sagt Innenverteidiger Roman Reichelt. Diakonin Elisabeth Krauß, die unter anderem die Dienste koordiniert, freut sich über die Unterstützung: „Morgen sind dann die Rotarier dran, Belegschaften Augsburger Geschäfte haben sich auch zum Helfen angekündigt.“

Ein Gong ertönt – Pfarrer Thomas Schmeckenbecher spricht heute den täglichen geistlichen Impuls. Es geht um das Märchen von Hänsel und Gretel, die Adaption der Augsburger Puppenkiste und was die Menschen von dem Märchen und der Umsetzung für ihren Tag heute noch mitnehmen können. An der „Insel“ im Chorraum bieten die Mitarbeitenden der Caritas-Suchtberatung sowie der Drogenberatung Schwaben ihre Hilfe an. In den nächsten Tagen werden Vertreter von Kirchlicher Sozialer Arbeit, Apotheken, aber auch vom städtischen Jobcenter oder der Diakonie hier zu finden sein. An einigen Abenden ist ein Kulturprogramm mit Lesungen, Märchenerzählern und Konzerten geplant.

Zwischen den Tischen läuft derweil Markus Schacht. Er fragt einen älteren Herren, ob er den Teller abräumen darf, oder ob er sich noch einen Nachschub holen wolle. „Dafür gab es extra eine Schulung im Umgang mit den Gästen“, verrät er. Die Menschen im Kirchenraum sollen einmal Wertschätzung, wie sie im Alltag oft nicht stattfindet. Es geht langsam auf 14.45 Uhr zu – dann ist die Essensausgabe vorbei, und die Türen von St. Peter schließen sich vorerst wieder. (00/0760/06.03.2024)