“Drive my Car” – Drama über die heilende Kraft der Kunst

Ein japanischer Theaterregisseur soll in Hiroshima das Drama “Onkel Wanja” von Tschechow inszenieren. Wie das Projekt ihm und allen Mitwirkenden Existenzielles abverlangt, davon erzählt die TV-Premiere “Drive my Car”.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Der japanische Theaterregisseur Yusuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima), der auch zwei Jahre nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Oto (Reika Kirishima) innerlich erstarrt ist, soll in einem Theater in Hiroshima das Tschechow-Stück “Onkel Wanja” inszenieren. Aus Versicherungsgründen wird ihm die junge Misaki (Toko Miura) als Fahrerin zugewiesen, die ihn zu den Proben und wieder zurück chauffiert. Aber auch bei den Proben geht es nicht allein um die Erarbeitung des Stücks, denn Yusuke vertraut die Hauptrolle ausgerechnet dem Schauspieler Takatsumi (Masaki Okada) an: Dieser war allem Anschein nach ein ehemaliger Liebhaber seiner Frau. Spannungen sind vorprogrammiert.

Das kunstvoll komponierte und filigran inszenierte Drama von Ryusuke Hamaguchi von 2021 basiert auf einer Erzählung von Haruki Murakami. Hamaguchi weitet die knappe Vorlage, indem er das Thema der heilenden Kraft von Kunst und Sprachen ausdehnt. Mit deren Hilfe werden auch mächtige Kommunikationsbarrieren, etwa soziale Klassen, Nationalität, Behinderung, Schuld und Traumata, überwunden.

Die Ideen zu ihren Drehbüchern kommen Oto beim Sex. In einer Art Trance spinnt sie die Erzählfäden weiter. Die Geschichten, die auf diese Weise entstehen, hat sie aber kurz darauf schon wieder vergessen. Am nächsten Morgen lässt sie sich von ihrem Mann Yusuke, einem Schauspieler und Theaterregisseur, erzählen, was sie sich halb unbewusst ausgedacht hat. Für Oto ist diese Form des Geschichtenerzählens mehr als eine Arbeitsmethode oder das erotische Ritual eines Künstlerpaars. Sie löst sich damit aus einer Starre. Yusuke und Oto sind “Weiterlebende”, um mit Tschechow zu sprechen. Vor vielen Jahren haben sie ihre gemeinsame Tochter verloren.

In “Drive my Car” dreht sich alles um das Geschichtenerzählen. Die Geschichten, die erzählt werden – beim Autofahren, bei der Besichtigung einer Müllverbrennungsanlage oder an einem traumatisch belasteten Ort auf der Insel Hokkaido – sind nie geradlinig, sondern verschlungen und von vielen Fragen und Zweifeln durchdrungen, mit offenen Enden. Sie kommen aus dem eigenen Leben, der Fantasie, einem Bühnenstück, aus dem Mund und vom Tonband. Oder sie stecken im Herzen fest. So wie bei Yusuke. Seit dem plötzlichen Verlust von Oto geht er wie versteinert durchs Leben.

Nach “Wheel of Fortune and Fantasy” (“Das Glücksrad”), einem Frauenfilm, steht in diesem Werk von Ryusuke Hamaguchi eine männliche Künstlerfigur im Zentrum. Ihre Krise ist sicherlich nicht neu, doch die Art und Weise, wie der japanische Filmemacher diesen Mann in Bewegung setzt und mit den Bewegungen anderer Figuren kreuzt, ist so filigran und vielschichtig, dass von der “alten” Geschichte wenig übrig bleibt.

Das fängt schon mit der Adaption an. “Drive My Car” basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami (“Von Männern, die keine Frauen haben”), ist aber 179 Minuten lang. Die Erzählung hat einen Hang zum Romanhaften, zum Gedehnten; verknappt ist allein die visuelle Form. Die Bilder sind einfach gehalten, schmucklos, aber nicht spröde. Man könnte sie für uninteressant, fast ein wenig effizient halten; dabei braucht es genau diese Stabilität, um dem überaus beweglichen Erzählgewebe den notwendigen Halt zu geben.

Halt und Struktur verleiht dem Film auch sein zentrales Motiv: das Auto. Für Yusuke ist sein schon etwas in die Jahre gekommener roter Saab 900 Fortbewegungsmittel und Rückzugsort zugleich. Beim Fahren lernt er seine Texte, die ihm Oto auf Audiokassette aufgenommen hat. So reagiert er auch etwas verstimmt, als man ihm am Theater in Hiroshima, wo er Tschechows “Onkel Wanja” inszenieren soll, aus Versicherungsgründen eine Fahrerin zuweist. Fortan fährt ihn die junge Misaki täglich zu den Proben und wieder zurück.

Neben den Fahrten, die sich allmählich von einem stillen Nebeneinander zu einem immer offeneren Gespräch entwickeln, bilden die Lese- und Theaterproben den zweiten wichtigen Strang. Yusuke gibt die Titelrolle ausgerechnet Takatsumi, einem jungen, nicht sonderlich talentiertem Schauspieler, in dem er den Liebhaber seiner verstorbenen Frau zu erkennen glaubt. Das Machtverhältnis zwischen den beiden, ihre um Oto kreisenden Gespräche und ihre unterschiedliche Idee von Männlichkeit setzen das Verhältnis unter eine permanente Spannung.

Mehr aber noch interessiert Hamaguchi das Zusammenwirken von Kunst und Leben. Yusuke weiß genau, warum er den Onkel Wanja nicht selbst spielen mag: “Wenn man seinen Text spricht, zerrt er das eigene Selbst hervor.”

Tatsächlich ist es dann aber vor allem die zurückhaltende, etwas schluffige Fahrerin Misaki, die Yusuki zum Reden bringt – und ihrerseits ins Reden kommt über ihre traumatische Kindheit und Jugend. Das Auto wird dabei zum Bekenntnisraum.

Hamaguchi erzählt die Annäherung dieser beiden Menschen, ihr plötzlich sehr freimütiges Sprechen über ihre Beschädigungen und Schuldgefühle, ganz ohne Pathos und erotischen Unterton. In der vielleicht schönsten Szene des Films rauchen Misaki und Yusuki beim Fahren wortlos eine Zigarette, ihre Hände nebeneinander zum Dachfenster hinausgestreckt, in die von bunten Lichtreflexionen erleuchtete Nacht.