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Drei weitere sehenswerte Filme – Eine Zwischenbilanz aus Venedig

Olivier Assayas hat mit dem Putin-Drama “The Wizard of the Kremlin” durchaus Chancen auf einen Preis in Venedig. Gleiches gilt für die Neuverfilmung von “Der Fremde” durch Francois Ozon. Eine Zwischenbilanz.

Einem Gegner, den man verletzt hat, auch noch den Finger in die Wunde zu stecken, um den Schmerz noch zu vergrößern: Ja! In der Hitze des Kampfes überwiegt der Drang, den anderen zu dominieren und alle Hemmungen fahren zu lassen. Der Moment, in dem der andere nachgibt und sich unterwirft, ist der ultimative Kick.

So ähnlich gesteht es der von Dwayne Johnson verkörperte Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Mark Kerr in dem biografischen Drama von Ben Safdie. Für Dwayne Johnson, der Mark Kerr mit Hilfe von Gesichtsprothesen und vollem Körpereinsatz verkörpert, ist der Film eine Art Ritterschlag als Charakterdarsteller; bei der Premiere im Rahmen der 82. Filmfestspiele in Venedig wurde der Darsteller dafür kräftig gefeiert.

Schauspielerisch verlangt ihm die Rolle in “The Smashing Machine” wesentlich mehr ab, als es die Actionkomödien tun, in denen Johnson sonst meist zu sehen ist. Denn der Film beschränkt sich nicht darauf, Kerrs sportliche Herausforderungen bei den zahllosen Wettkämpfen zu porträtieren. Er fokussiert vielmehr mit Nachdruck auf die verletzlichen Seiten des Protagonisten und kreist um dessen Ringen mit einer Opioid-Abhängigkeit und seiner spannungsvollen Beziehung zu seiner Freundin und späteren Ehefrau (Emily Blunt).

Die Solo-Regiearbeit von Ben Safdie lässt damit zwar den inszenatorischen Drive vermissen, den die zusammen mit seinem Bruder Joshua Safdie umgesetzten Filme wie “Der schwarze Diamant” oder “Good Time” besitzen. Als Sportdrama verfügt “The Smashing Machine” aber durchaus über viel Reiz. Denn hier geht es ausnahmsweise mal nicht darum, dass ein angeschlagener Underdog das Siegen lernen muss, sondern vielmehr um einen Kämpfer, der Niederlagen zu akzeptieren lernen muss, um dem Menschen hinter den Muskeln eine Chance zu geben.

Mehr Aussichten auf die “Löwen” dürften die Arbeiten der französischen Regisseure Olivier Assayas und Francois Ozon haben. Assayas zeichnet in die Entwicklungen in Russland seit dem Untergang der Sowjetunion in den 1990er-Jahren und den Aufstieg von Wladimir Putin bis in die Gegenwart des Ukraine-Kriegs nach; Ozon hingegen präsentiert eine Neuadaption von Albert Camus” 1942 erschienenem Roman “Der Fremde” in Venedig.

“The Wizard of the Kremlin” spürt den tektonischen Bewegungen nach, welche die politische Welt seit dem Ende des Kalten Kriegs durchgemacht hat. Dabei arbeitet er sich vor allem an der Frage ab, wie aus den Energien der 1990er-Jahre ein neues Zeitalter autokratischer Potentaten heraufdämmern konnte.

Die Romanadaption nach einem Werk von Giuliano Da Empoli will dabei nicht das Rätsel “Putin” (Jude Law) entschlüsseln, sondern rückt einen fiktiven Charakter ins Zentrum. Mit “Der Magier im Kreml” ist vielmehr ein gewisser Wadim Baranow (Paul Dano) gemeint, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst als avantgardistischer Theatermacher und TV-Produzent die wilde Goldgräber-Stimmung der 1990er-Jahre erlebt, später aber als inoffizieller Berater und Kommunikationsstratege des “neuen Zaren” Putin daran mitarbeitet, dass aus dem Chaos wieder ein stabiles Regime mit Putin an der Spitze entsteht.

Eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der Baranow sich nach Beginn des Ukraine-Kriegs aus dem Polit-Betrieb zurückgezogen hat und einem US-amerikanischen Journalisten (Jeffrey Wright) auf seinem Landsitz ein Interview gibt, entfaltet der Film in mehreren Kapiteln Baranows Werdegang. Es ist eine Karriere, in der die Kunst der Manipulation und Täuschung mehr und mehr perfektioniert wird und Baranow mit den Ängsten und Wünschen verschiedener gesellschaftlicher Kräfte und Gruppen zu spielen lernt – und dabei mit gelassener Gleichgültigkeit in Kauf nimmt, dass Blut fließt.

Irgendwann schimmert in der Inszenierung von Olivier Assayas allerdings auch durch, dass Baranow sich vielleicht auch selbst betrügt. Das Machtgefüge, das er mit derselben Lust am Machbaren aufzubauen hilft, mit der ein Kind mit seinen Bauklötzen spielt, ist das politische Haus, in dem er selbst auch wohnen muss. Die brutale Wirklichkeit dessen, was er in Gang gesetzt hat, macht auch vor ihrem Architekten nicht halt.

Während “The Wizard of the Kremlin” in die 1990er-Jahre zurückschaut, um die Genese der politischen Gegenwart zu durchleuchten, greift Francois Ozon einen Stoff aus den 1940er-Jahren auf: den existenzialistischen Romanklassiker von Albert Camus. Darin wartet ein junger Franzose in den 1930er-Jahren in Algerien in einer Gefängniszelle auf seine Hinrichtung, weil er einen Mann getötet hat.

Ozon entfaltet das Drama um den seinem Tod entgegensehenden Mann (Benjamin Voisin) und die in Rückblenden sich entfaltenden Ereignisse, die zu dem Mord geführt haben, in schwarz-weißen Bildern, die in ihrer fast überirdischen Schönheit zwangsweise in ihren Bann schlagen und zugleich Rätsel aufgeben, weil sie in einer seltsamen, spannungsvollen Reibung zur Geschichte stehen.

Der Kamerablick, der ein geradezu erotisches Verhältnis zu der Welt an den Tag legt, scheint ein Widerspruch zu Meursaults Apathie zu sein. Während der junge Mann durch sein Leben treibt, ohne von dem berührt zu werden, was er erlebt – der Tod der Mutter, eine Affäre mit einer jungen Frau, die ihn liebt, der impulsive Akt, der zur Tötung des Fremden führte -, ist der Blick der Kamera umso zugeneigter.

Die sparsam, aber sehr wirkungsvoll eingesetzte Musik versucht hartnäckig, Meursaults Kälte gegenüber Menschen und Dingen etwas entgegenzusetzen. Während es in dem Roman um einen Menschen geht, der nichts wertschätzen kann, weil er den Glauben an eine transzendente Dimension verloren hat und jenseits der Dinge keinen höheren Sinn erkennen kann, scheint Ozon diese Materialität durchaus zu genügen, um die Welt zu lieben.