„Drei Tage und ein Leben“ – Atmosphäre der Zwielichtigkeit

Ein 12-jähriger Junge hütet voller Angst das Geheimnis um das Verschwinden eines anderen in den belgischen Ardennen. Das Kriminaldrama erzählt von der Unmöglichkeit des Vergessens.

Ein 12-jähriger Junge hütet voller Angst das Geheimnis um das Verschwinden eines anderen in den belgischen Ardennen. Das Kriminaldrama erzählt von der Unmöglichkeit des Vergessens.

In Zusammenarbeit mit dem Kinoportal filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission bietet die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) Fernsehtipps zu besonderen Spielfilmen im deutschen Fernsehen:

Der 12-jährige Antoine (Jeremy Senez) aus den belgischen Ardennen verursacht 1999 einen Unfall, durch den der jüngere Junge Remi ums Leben kommt. Voller Panik vertuscht Antoine das Geschehen, vergräbt die Leiche und erlebt erleichtert, dass die Suche nach dem Vermissten ergebnislos eingestellt wird. Doch auch 15 Jahre später hat er sich, wie der Film von Nicolas Boukhrief ebenfalls zeigt, nicht von der Vergangenheit befreien können.

Die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Pierre Lemaitre aus dem Jahr 2019 erzählt eine Geschichte über kindliche Schuld und die Unmöglichkeit des Vergessens.

Der dichte und milieugenaue Kriminalfilm in der Tradition der düsteren, psychologisch ausgefeilten Filme von Claude Chabrol oder Henri-George Clouzot konzentriert sich dabei ganz auf das innere Drama des Kindes.

Als der 12-jährige Antoine in den frühen Morgenstunden des 22. Dezember 1999 aus dem Fenster schaut, ist sein Blick voll freudiger Erwartung. Im Haus gegenüber wohnt Emilie, seine erste Liebe. Auch dort geht gerade das Licht an. Am Nachmittag will er der Angehimmelten die selbstgebaute Hütte im Wald zeigen, in der er manchmal mit ihrem kleinen Bruder Remi Karten spielt.

Antoine wird in dem Kriminaldrama von Nicolas Boukhrief noch viele Male aus diesem Fenster seines Zimmers schauen. Doch sein Blick wird voller Angst sein. Nicht nur in den drei folgenden Tagen, die der Film aus Antoines Perspektive schildert. Sondern auch noch 15 Jahre später, als der junge Mann als angehender Mediziner für einige Tage in das Dorf Olly in den belgischen Ardennen zurückkehrt.

Dichte Nebelschwaden ziehen im Vorspann zu „Drei Tage und ein Leben“ unheilvoll über den Wald von St. Eustache. Durch einen von Antoine verschuldeten Unfall kommt der kleine Remi Desmedt zu Tode. Der Film lässt das Publikum zur Zeugen und Mitwissern werden – nicht nur der Tat, sondern auch des inneren Dramas des Jungen.

Er teilt seine Schuldgefühle mit den Zuschauern: seine Panik beim Beseitigen der Spuren. Seine Angst, die von ihm vergrabene Leiche könnte gefunden werden. Seine Feigheit und die Erleichterung, als nach einem verheerenden (und etwas zu hollywoodesk inszenierten) Sturm die Suche nach dem Vermissten aufgegeben wird. Es ist ein Gefängnis, das sich Antoine durch sein Schweigen selbst errichtet hat. Die Familie des spurlos verschwundenen Jungen zerstört es.

„Drei Tage und ein Leben“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Pierre Lemaitre. Der Autor hat auch das Drehbuch geschrieben; die Dichte der Vorlage ist in der Übersetzung vom literarischen Medium ins filmische glücklicherweise nicht verloren gegangen. In der Tradition der düsteren, psychologisch ausgefeilten Kriminalfilme von Claude Chabrol oder Henri-George Clouzot erzählt der Film von kindlicher Schuld und der Unmöglichkeit des Vergessens.

Die Handlung konzentriert sich auf wenige Tage. Noch bevor Antoine in den Wald aufbricht, entfaltet sich ein Panorama des Dorfes und seiner Bewohner. Bald kennt man sie alle: Antoine, seine Mutter, die ihrem Sohn sehr zugewandt ist, Remis Vater, der um seinen Arbeitsplatz in dem vor dem Bankrott stehenden Sägewerk fürchtet und gegen den Besitzer aufbraust, den Hund Ulyssus, der – auch das ein unheilvolles Zeichen – von einem Auto erfasst wird, den polnischen Fleischhändler Kowalski, der im Dorf argwöhnisch beobachtet wird.

Man kennt auch die Orte, die Boukhrief mit gutem Gespür für räumliche Zusammenhänge in den Blick nimmt: Antoines Zimmer, das Wohnzimmer und die Küche, in der er nach 15 Jahren erneut mit seiner Mutter zusammensitzt, das Versteck im Wald. Nicht zuletzt die Sichtachsen, die sein Zimmer mit dem Haus der Familie Desmedt verbinden.

Es geht überhaupt viel um Blicke in „Drei Tage und ein Leben“: ängstliche Blicke, entsetzte, vorwurfsvolle, schmerzverzerrte und komplizenhafte Blicke. Wer etwas weiß oder zumindest ahnt, das lässt Boukhrief fast bis zum Ende des Films offen.

„Drei Tage und ein Leben“ breitet eine Atmosphäre der Zwielichtigkeit aus, die man vom Film noir kennt. Doch grundsätzlich ist der Film mehr an der Figurenzeichnung interessiert denn am Spannungsbogen oder einer raffinierten Erzählung. Boukhrief fragt nach der moralischen Schuld – und gibt darauf keine Antwort. Eine Befreiung, so viel jedenfalls ist sicher, kann es in diesem Drama, dessen erzählerische Schlingen sich immer mehr zuziehen, nicht geben. Antoines Träume von einem Leben fern vom Tatort, dem Schuld- und Angst-Ort Olly: Sie sind am Ende nur mehr ein Abbild auf einem Porzellanteller.