Drama über eine Transfrau im Ersten
Geboren in den 1960er Jahren im erzkonservativen Oberbayern, kehrt die Transfrau Josefa Jahrzehnte später in ihre Heimat zurück: Dort erwarten sie Mobbing, Streit und schwere Vorwürfe, aber auch Liebe und Versöhnung.
“Völlig losgelöst” habe sie sich bei den gemeinsamen Radtouren immer gefühlt, erzählt Josefa ihrem Freund Blume. In diesen Momenten sei sie “weder Junge noch Mädel” gewesen, sondern: “Einfach nur i”. 35 Jahre nach Josefas “Flucht” aus dem oberbayerischen Dorf Distelfing sitzen die einst besten Freunde wieder zusammen und versuchen, einander die Geschehnisse jenes Jahres, 1988, zu erklären. Und zwar nicht primär die äußeren, sondern, viel wichtiger: die inneren.
Denn Josefa hieß damals noch Josef, kämpfte in einer erzkonservativen Umgebung mit der Diskrepanz zwischen dem ihr zugewiesenen und ihrem wahren Geschlecht. Als sie damals wegging aus Distelfing, erklärt Josefa, sei sie nicht weniger als um ihr “Überleben g’rannt”. Das Drama “Ungeschminkt”, das das Erste am 13. November von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, erzählt Josefas Geschichte.
Es beginnt damit, dass Josefa (herausragend: Adele Neuhauser) den elterlichen Bauernhof erbt – dass ihre Mutter unlängst verstorben ist, erfährt sie aus dem Brief eines Notars. Also macht sich die Transfrau, die in München lebt, mit Magnus (Matthias Matschke) verheiratet ist und in einer Beratungsstelle für queere Menschen arbeitet, auf den Weg in die alte Heimat.
Im dortigen Gasthof abgestiegen, wird sie von einstigen Bekannten begafft wie ein Zootier, sensationslüstern ausgefragt; irgendwer zersticht die Reifen ihres Fahrrads. Was sie in die Werkstatt von Blume (Ulrich Noethen) bringt, den sie damals ebenso sang- und klanglos verließ wie ihre Ehefrau Petra (Eva Mattes). Wobei der sanfte Blume nicht der Typ für Vorwürfe ist. Erst die Gespräche mit ihm geben Josefa den Mut, sich der Konfrontation mit Petra zu stellen.
Die verläuft deutlich heftiger, denn Petra ist der Typ für Vorwürfe. Sie lebt noch immer auf dem Hof, auf dem sie einst zusammen mit Josef (Riccardo Campione) wohnte und den Josefa nun (teilweise) erbt. Warum sie in all den Jahrzehnten nicht fortging, werden Josefa und die Zuschauenden erst spät im Film erfahren.
Das darstellerische Aufeinandertreffen zwischen Adele Neuhauser und Eva Mattes zählt zu den absoluten Highlights dieses an Höhepunkten nicht armen Dramas: Die Szenen, in denen sich die beiden Frauen ihre tiefen seelischen Verletzungen um die Ohren hauen, ihre Einsamkeit, Wut und Bitterkeit fühlbar werden, sind ein Schauspielfest ersten Ranges. Doch auch Noethen ist perfekt besetzt; derart fesselnde Dialoge wie die zwischen Blume und Josefa hat deutsches Fernsehen selten zu bieten.
Wunderschön stimmig auch der leichte oberbayerische Einschlag, den die Beteiligten sprechen. Ergänzt wird der Cast durch die mit trockenem Witz überzeugende Hayal Kaya als Josefas Münchner Freundin Antonia, auch sie eine Transfrau – die Zahnärztin reist nach Distelfing, um Josefa zur Seite zu stehen.
All dies wird so zart und bodenständig, so ernsthaft und doch leicht, so anrührend und zugleich humorvoll verhandelt, dass es eine wahre Freude ist. Uli Bree hat einmal mehr Adele Neuhauser eine passgenaue Rolle auf den Leib geschrieben (wie etwa die “Tatort”-Figur der Bibi Fellner oder auch ihre Rolle in der bitterbösen Komödie “Faltenfrei”) und rund um diese Protagonistin eine vielschichtige, melancholische und ganz und gar wahrhaftige Story entwickelt.
Wie schon in “Faltenfrei” zeichnet zudem erneut Dirk Kummer für die Regie verantwortlich. Ein Top-Team, das sich da gefunden und gemeinsam einen ungemein sorgfältigen Film geschaffen hat: gelungen etwa der Einfall, Josefas Erinnerungen nicht nur in Form von Rückblenden zu erzählen, sondern ihr jüngeres Ich immer wieder auch “leibhaftig” in der Jetztzeit auftreten, Gegenwart und Vergangenheit ineinander laufen zu lassen.
Stimmig sind auch die teils ungewohnten Kameraperspektiven von Alex Püringer und Joe Berger, ihre schönen Bilder von Gesichtern und Landschaften – und die mal schwebende, mal prägnante Musik von Johannes Repka. Ein Film, der vom schwierigen Lebensweg einer Transfrau erzählt – und seine Story zu einer universellen, feinfühligen Geschichte über Liebe, Vergebung und Versöhnung weitet.