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Dmitri Schostakowitsch: Chronist einer Epoche

Sein Leben war eine ständige Gratwanderung: Er komponierte im Auftrag der sowjetischen Regierung, brachte aber in seinen Werken immer wieder Spott und Kritik an den Machthabern zum Ausdruck. Dmitri Schostakowitsch, geboren 1906 in St. Petersburg und gestorben 1975 in Moskau, gilt als musikalischer Chronist seiner Epoche. Am 9. August jährt sich der Todestag des Komponisten zum 50. Mal.

Schostakowitschs Musik ist bekannt für ihre emotionale Bandbreite: von düsterer Melancholie und Trauer bis hin zu Hoffnung, Ironie und sogar Sarkasmus. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit dem Dirigenten Thomas Sanderling, der als Sohn des Dirigenten Kurt Sanderling in der Sowjetunion aufwuchs, am Leningrader Konservatorium Violine studierte und 1962 als Dirigent debütierte.

Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagt Thomas Sanderling über Schostakowitsch: „Er war ein Genie, aber auch ein selten großer Humanist und Mensch.“ Er sei eine Ausnahmeerscheinung gewesen. „Ich hatte das Glück, in meinem Leben vielen außergewöhnlichen Menschen zu begegnen“, sagt der 82-jährige Sanderling: „Aber ich bin nur einem Genie begegnet, und das war Schostakowitsch.“

Auch Menschen, die ihn überhaupt nicht kannten, seien von ihm fasziniert gewesen. „Wenn er irgendwohin kam, manchmal kränklich und schlecht gekleidet, war Totenstille im Raum“, beschreibt Sanderling: „Er hatte ein Karma, das habe ich so niemals wieder erlebt.“

Zum umfangreichen und vielseitigen Werk des Komponisten und Pianisten Schostakowitsch gehören Sinfonien, Opern, Streichquartette und weitere Kammermusikwerke, Klavierwerke sowie Filmmusiken. Seine Sinfonien besetzte er zum Teil mit Solisten und Chören, um Texte und Botschaften verbreiten zu können.

Geschichtsträchtig ist zweifellos seine 13. Sinfonie „Babi Jar“, in der er Texte des Dichters Jewgeni Jewtuschenko vertonte und den Antisemitismus in der Sowjetunion anprangerte. In Babi Jar ermordeten deutsche Spezialkommandos 1941 fast 34.000 ukrainische Jüdinnen und Juden.

Für Aufsehen sorgte zudem seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Diktator Josef Stalin ließ das Werk 1936 verbieten, nachdem er in Moskau eine Vorstellung besucht hatte. Für fast 30 Jahre verschwand es von den Spielplänen der Sowjetunion.

Nach Ansicht der russischen Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa ist es Schostakowitsch „hoch anzurechnen, dass er zwischen staatlicher Unterdrückung und offizieller Anerkennung die Wahrhaftigkeit und tiefe Menschlichkeit in seiner Musik nicht aus den Augen verloren hat“.

Scherbakowa war im laufenden Jahr zu Gast bei den Schostakowitsch Tagen im sächsischen Kurort Gohrisch. Dort, mitten in der Sächsischen Schweiz, hat der sowjetische Komponist 1960 sein 8. Streichquartett komponiert, eines seiner persönlichsten Werke. Vor Ort war er damals auf Einladung der SED-Regierung im Gästehaus des DDR-Ministerrates, um eine Musik für den Propagandafilm „Fünf Tage, Fünf Nächte“ zu schreiben, der die Rettung der Dresdner Kunstschätze durch die Rote Armee nach Moskau im Jahr 1945 behandelt.

Doch es kam anders. Der Musikwissenschaftler Tobias Niederschlag, Mitbegründer der Schostakowitsch Tage, sagt: „Dort in Gohrisch ist etwas anderes aus ihm herausgebrochen.“ Weit weg von der Heimat war es ihm möglich, über Repressionen des Regimes zu reflektieren. Schostakowitsch sei zuvor genötigt worden, in die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) einzutreten und hatte zugestimmt.

„Das war ein Schritt, den er sich selbst nicht verziehen hat“, sagt Niederschlag, der Leiter des Konzertbüros im Gewandhaus Leipzig ist. Ihn hätten sogar Suizidgedanken gequält. Im 8. Streichquartett habe Schostakowitsch „seinem Leiden unter dem Sowjetregime eindringlich Ausdruck verliehen“. Ein solches Werk habe er zu dieser Zeit nur außerhalb der Sowjetunion schreiben können. Offiziell widmete er das Quartett „den Opfern von Krieg und Faschismus“.

Schostakowitsch hat nur auf russische Texte komponiert. Dem jungen Dirigenten Sanderling, den er 1966 nach dessen Debüt in Moskau kennenlernte, vertraute er die deutschen Erstaufführungen seiner 13. und 14. Sinfonie an sowie deren deutsche Textübersetzungen an. „Schostakowitsch gab meist nur musikalische Anweisungen“, sagt Sanderling, der schließlich ein Vertrauter des Komponisten wurde. Inhaltliche Fragen zu seinem Werk mochte er nicht – möglicherweise auch, um sich selbst zu schützen.

In seinen letzten Lebensjahren war Schostakowitsch, der dreimal verheiratet war, sehr krank. Die Schikanen der Stalin-Zeit seien nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, sagt Niederschlag. Er sei ein gebrochener Mann gewesen. Seine letzten Werke sind düster und pessimistisch. Hoffnung hatte er offenbar keine mehr. 1975 starb er im Alter von 68 Jahren an einem Herzinfarkt.