Daddeln gegen Nazis

Ein Online-Game über Nazi-Verbrechen? Das kann kein Spiel sein! Solche Reaktionen kennt Matej Samide schon und hält dagegen: „Dieser spontane Gedanke greift zu kurz. Games sind nicht ‘nur’ Spiele, sie sind ein erzählendes Medium, das eine Mehrheit der Deutschen konsumiert“, sagt der Projektmanager von der Stiftung Digitale Spielekultur in Berlin. Ähnlich wie NS-Verbrechen in belletristischer Literatur und Spielfilmen besprochen werden können, sei das auch bei Games der Fall. Wie das aussehen kann, zeigt die Hamburger Gedenkstätte Bullenhuser Damm, die am Freitag ihr neues Online-Spiel „Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm“ vorstellt.

Unbestritten ist, dass Museen, Gedenkstätten und Kulturorte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wachzuhalten. „Aber wir müssen neue Zugänge erproben, die das Erinnern an die Vergangenheit unter sich stetig verändernden Bedingungen lebendig halten“, sagt Samide. Für ihn sind Online-Spiele längst „in der Mitte der Gesellschaft angekommen und prägen wie alle Massenmedien unser Geschichtsbild“. Gerade die sogenannten Serious Games würden der Geschichte mit gebotener Ernsthaftigkeit begegnen und die Themen doch „anders“ vermitteln.

Spielende können vielfältige neue Rollen einnehmen und die Welt aus anderen Perspektiven erleben. „Immer mehr Gedenk- und Lernorte setzen Games in ihrer Arbeit ein“, beobachtet Samide, der das Projekt „Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort“ geleitet hat. Ein Ergebnisse sind das Themenportal „Games – Erinnerung – Kultur“ zur Schulung von Gedenkstättenteams und eine Datenbank, die eine Auswahl an Spielen einordnet, etwa „Through the Darkest of Times“, „Attentat 1942“ oder „Spuren auf Papier“. Digitale Spiele ermöglichen eine interaktive und tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur, davon ist Samide überzeugt.

Mit ihrem neuen Online-Spiel will auch die Gedenkstätte Bullenhuser Damm den Holocaust authentisch und nachhaltig ins Bewusstsein junger Menschen rücken. Zu jedem Besuch der Gedenkstätte gehöre die Frage: „Was hat Geschichte mit mir zu tun?“ Durch das ungewöhnliche Medium sollen die Antworten hierauf „innovativ ergänzt“ werden, hieß es von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Vor 80 Jahren wurden 20 jüdische Kinder kurz vor Kriegsende mit mindestens 28 Erwachsenen in der verlassenen Schule am Bullenhuser Damm von SS-Männern ermordet.

Das Game versetze die Spielenden in die Perspektive von Schülerinnen und Schülern der Bullenhuser Damm-Schule um 1979. Gemeinsam werden Spuren entdeckt, die in die NS-Vergangenheit führen und die Spielenden über Geschichte, Geschichtsbilder und Erinnerung nachdenken lässt – „auf eine anregende Weise, ohne sich bevormundet zu fühlen“, sagt Oliver von Wrochem, Vorstand der Hamburger Stiftung. Durch Gespräche mit anderen Figuren und verschiedene Zeitebenen entstehe für die Spielenden eine individuelle Erinnerungserzählung. „Junge Menschen werden so unmittelbarer angesprochen als mit herkömmlichen Bildungsformaten“, sagt von Wrochem.

Für ihn ist das digitale Spiel ein wichtiger Schritt, um das Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus und den gesellschaftlichen Umgang damit „in zeitgemäßer Form“ zu vermitteln. Das Spiel wurde von Paintbucket Games aus Berlin entwickelt und von der Alfred-Landecker-Foundation gefördert. Umfangreiche Tests in Schulklassen, mit Studierenden und Lehrkräften hätten gezeigt, dass es funktioniert, sagte der Stiftungsvorstand. Das Game soll künftig in Workshops der Gedenkstätte und Schulen eingesetzt werden.

Viele Fragen im Spiel würden auch die aktuelle Diskussion um Antisemitismus und Rassismus in der Gesellschaft widerspiegeln. In einer Zeit, in der die Gefahren durch die Relativierung des Nationalsozialismus auf digitalen Plattformen steigen, setze das Game-Format etwas dagegen, lobt Lena Altman, Chefin der Alfred-Landecker-Foundation. Für sie steht fest: „Der digitale Raum ist unverzichtbar für das Gedenken an den Holocaust.“