Digitales Gedenken
Die Coronavirus-Pandemie zwingt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in Oranienburg auch 2021 zu tiefgreifenden Umplanungen. Über die aktuellen Planungen zu den Gedenkfeiern zum 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück erzählt Stiftungsdirektor Axel Drecoll im Interview mit Yvonne Jennerjahn (epd)
Herr Drecoll, Corona hat auch die Gedenkstätten getroffen. Welche Folgen hatte das bisher?
Tiefgreifende: von zeitweisen Schließungen, der Absage von Veranstaltungen und Ausstellungen bis hin zum Arbeiten im Homeoffice reichen. Gleich im Frühjahr mussten wir die vielen Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung, zu denen auch zahlreiche Überlebende aus aller Welt anreisen sollten, kurzfristig absagen und ein Alternativprogramm entwickeln, das online stattfand. Das war eine sehr große Herausforderung, für die wir im Ergebnis dann viel Zuspruch bekommen haben. Die aus diesem Anlass geplante Ausstellung „Bruchstücke ‘45“ mussten wir komplett verschieben. Noch ist auch der neue Eröffnungstermin fraglich.
Wie hat sich die Pandemie auf die Besucherzahlen ausgewirkt?
Die sind aufgrund der Schließungen und der Reiseeinschränkungen gegenüber 2019 deutlich gesunken, in Sachsenhausen von 700000 auf rund 145000. Wir haben digitale Angebote geschaffen und vor allem die Social-Media-Aktivitäten enorm verstärkt. Dabei hat sich gezeigt, dass wir im Bereich der Digitalisierung bei der Ausstattung und beim Personal erhebliche Defizite haben. Unabhängig von der Pandemie sind jetzt zwei Projekte angelaufen, die hier teilweise Abhilfe schaffen. Zum einen handelt es sich um die Digitalisierung von Sammlungsbeständen, die später auch im Internet verfügbar sein werden. Zum anderen beschäftigen wir uns auch mit der Frage, welche virtuellen Medien für eine nachhaltige Vermittlungsarbeit angemessen und geeignet sind.
Wie wollen Sie 2021 den 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Ende April 1945 begehen?
Nachdem wir zunächst gehofft hatten, die abgesagten Veranstaltungen des 75. Jahrestages gemeinsam mit den Überlebenden und ihren Angehörigen 2021 nachholen zu können, sind wir jetzt dabei, auch den 76. Jahrestag als nahezu ausschließlich digitale Veranstaltung zu planen. Vor Ort sollen lediglich Gedenkveranstaltungen im kleineren Kreis stattfinden, die gestreamt werden. Andere Veranstaltungen wie Zeitzeugengespräche, Diskussionsrunden oder ein Konzert mit dem „Moka Efti Orchestra“, bei dem unter anderem Lagerlieder aus Sachsenhausen erklingen werden, sollen online stattfinden.
Wie gehen die Überlebenden mit den erzwungenen Einschränkungen beim Gedenken um?
Für viele Überlebende war die Absage der Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung eine große Enttäuschung. Dies wird sich mit Blick auf das Jahr 2021 vermutlich wiederholen, zumal es die letzte Gelegenheit sein könnte, den Ort, der das Leben dieser Menschen so tief geprägt hat, nochmals zu besuchen.
Welche Vorhaben will die Stiftung nach derzeitigem Stand 2021 umsetzen?
Neben dem Jahrestag ist vor allem die bereits erwähnte Ausstellung „Bruchstücke ‘45“ zu nennen, an der fünf Gedenkstätten der Stiftung beteiligt sind. Nach der Präsentation in der Gedenkstätte Sachsenhausen soll sie ab Mai im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam zu sehen sein. Im Mai wird ein internationales Symposion zum Thema „Geschichte und Erinnerung der nationalsozialistischen Konzentrationslager“ stattfinden. Zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion planen wir in Sachsenhausen mit verschiedenen Partnern für Juni eine wissenschaftliche Konferenz. Im August soll die im letzten Jahr verschobene Konferenz zur Zukunft der Erinnerungs- und Vermittlungsarbeit zu den sowjetischen Speziallagern nachgeholt werden. In Ravensbrück stehen die Sommeruniversität und ein Colloquium zum Thema „Was ist Gedenken?“, das ursprünglich im Oktober stattfinden sollte, auf dem Programm. In Brandenburg an der Havel soll die Gesprächsreihe zum Strafvollzug in Geschichte und Gegenwart fortgesetzt werden.
Sie haben sich vor einem Jahr dafür ausgesprochen, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum bundesweiten Feiertag zu machen, die Schoah-Überlebende Esther Bejarano hat eine Petition für einen solchen Feiertag gestartet, die von mehr als 120000 Menschen unterstützt wird. Den Feiertag gibt es trotzdem noch nicht. Hoffen Sie, dass er doch noch kommt?
Ich würde dies nach wie vor für ein starkes erinnerungskulturelles Signal halten, das unserem demokratischen und menschenrechtsbasierten Gemeinwesen gut täte. Derzeit sehe ich jedoch keine Anzeichen, dass der Feiertag kommen wird. Das Grundgesetz ist in seinem Verständnis von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde ein klarer Gegenentwurf zur NS-Herrschaft, die am 8. Mai 1945 endete. Ein Feiertag würde uns an diesen Kontext immer wieder erinnern. Und er könnte auch diejenigen, die den freiheitlichen Geist des Grundgesetzes für ihre ausgrenzenden und nationalistischen Programme beanspruchen, in die Schranken weisen.
Aktuelle Informationen zu Veranstaltungen während der Pandemie gibt es im Internet: www.stiftung-bg.de