Diese Malerin gibt Flüchtlingen ein Gesicht

21 Menschen, 21 Schicksale – die Malerin Anke de Vries hat Flüchtlinge porträtiert. Einigen sieht man an: Sie haben jede Hoffnung verloren.

Anke de Vries in ihrem Atelier
Anke de Vries in ihrem AtelierPrivat

Die Geschichte von Tarek berührt die Künstlerin Anke de Vries jedes Mal wieder, wenn sie daran denkt. Als Flüchtling aus Palästina wohnt er derzeit in einer Unterkunft weit draußen im Hamburger Umland. „Er hat mir von einem Spaziergang erzählt, bei dem er an einem Bahnübergang stand und wartete, bis der sich nähernde Zug durchgefahren sei“, berichtet die 72-jährige Malerin. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der Gleise, habe ebenfalls ein Flüchtling gestanden. „Und der hat sich dann vor den Zug geworfen.“
Sie habe Tarek daraufhin gefragt, ob er selbst manchmal tief verzweifle. Denn seit den vielen Gesprächen, die sie mit Flüchtlingen geführt hat, weiß sie: „Es gibt Menschen, die jede Hoffnung aufgegeben haben. Weil sie schon so lange durch Europa ziehen und immer noch nicht angekommen sind.“ Tarek habe ihr geantwortet, dass er versuche, die Dinge positiv zu sehen – obwohl auch er eine lange Odyssee hinter sich habe. „Sonst kommt man gegen die Schatten im Inneren nicht an“, sagte er. Wie lange er in Deutschland bleiben kann, ist ungewiss.

Kirchengemeinden stellten Kontakte her

Tarek ist einer von 21 Menschen, die Anke de Vries in der Wander-Ausstellung „Nicht vom Brot allein“ porträtiert hat. Sie ist ab diesem Freitag in Hamburg zu sehen. Tarek ist einer von 21 Menschen, die irgendwann ihre Heimat verlassen haben. Die sich von Schleppern nach Europa schleusen ließen, oft auf lebensgefährlichen Wegen. Die ihre Familie zurücklassen mussten – ob zu Hause oder unterwegs. Über Kirchengemeinden kam sie mit den Flüchtlingen in Kontakt.
Anke de Vries kritisiert, dass Flüchtlinge oft nur als Zahlen, als Masse wahrgenommen werden. „Ich wollte den Lebensbedrohten ihre Unverwechselbarkeit zurückgeben“, sagt sie. In Zusammenarbeit mit Dietrich Gerstner vom Zentrum für Mission und Ökumene suchte sie den Kontakt zu den Menschen. Sie stellte ihnen Fragen, hörte ihnen zu. „Im Grunde habe ich nichts für die Asylsuchenden getan“, meint sie, „andere spenden Kleidung.“ Aber sie habe das Gefühl gehabt, dass die Flüchtlinge es schätzten, dass sie ihnen zuhörte und sich für ihre Geschichte interessierte.

Als Zwölfjährige an Bräutigam verkauft

Anke de Vries wollte den Flüchtlingen ein Gesicht geben – und eine Stimme. So steht auf jedem der 21 Aquarellporträts ein Satz, der etwas ausdrückt, was dem Menschen wichtig ist oder ihn ausmacht. Auf dem Porträt von Hatice, einer Kurdin aus der Türkei, steht eine kurze Zusammenfassung ihrer Lebensgeschichte: „Als Kind von zwölf Jahren haben meine Eltern mich an einen Bräutigam verkauft. Aus diesem Horror bin ich geflohen. Jetzt bin ich eine andere, eine neue, selbstbewusste Frau.“
Nach einer Flucht über viele Stationen habe Hatice in Deutschland ein neues Leben anfangen können. „Sie hat mir kürzlich stolz erzählt, sie habe ein Bankkonto eröffnet“, sagt de Vries. Und gesagt: „Mit einem Bankkonto gehöre ich dazu.“
Doch auch ein Konto, ein Beruf und eine Aufenthaltsgenehmigung sind keine Garantie dafür, in Deutschland akzeptiert zu werden. Das musste Umeswaran aus Sri Lanka erfahren, der als 13-Jähriger davor floh, Kindersoldat zu werden. Er kam nach Hamburg zu einem Onkel und schaffte es aufs Gymnasium. „Dort wurde er Schulsprecher und kämpfte per Petition um seine Aufenthaltsgenehmigung.“ Heute ist der studierte Mediziner Herzchirurg an einem Krankenhaus. „Und es gibt Deutsche, die aufgrund seiner Hautfarbe sagen: ‚Von einem Neger will ich nicht operiert werden‘“, berichtet de Vries.

Ihr nächstes Projekt steht schon

L‘art pour l’art sei nicht ihre Sache, sagt die Malerin. „Ich denke, dass Kunst auch innerhalb der Gesellschaft eine Rolle hat und Veränderung bewirken kann.“ Sie möchte auf Menschen in Grenzsituationen aufmerksam machen. Seemänner in der Seemannsmission Duckdalben hat sie schon porträtiert und Hamburger Toilettenfrauen – Personen, deren Geschichte oft verborgen und unerzählt bleibt. Als nächstes möchte sie unbegleitete Flüchtlingskinder malen. „Denn die haben hier zurzeit einen besonders schweren Stand“, klagt Anke de Vries.