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Dienstpläne von 1990 statt historischer Dokumente aus der Nazi-Zeit

Kathrin Wirth-Ueberschär hat feuchte Hände. Im Hotel Reichshof Hamburg, dessen General Manager sie ist, steht sie neben einem etwa 100 Jahre alten Tresor. Angeblich ist der etwa 1,75 Meter hohe Schrank in der Ecke neben dem Fahrstuhl seit Ende des Zweiten Weltkriegs verschlossen. Jetzt, zum 115-jährigen Geburtstag des Hotels nahe dem Hamburger Hauptbahnhof, lässt die Hotelchefin ihn öffnen – von Jordan Caffrey, einem Profi. Seit rund drei Stunden werkelt der Tresortechniker an dem alten Safe. Neben ihm stehen drei Koffer voller Werkzeug. Gleich, so sagt er, werde sich die Tür öffnen.

Das Hotel Reichshof geht auf Anton-Emil Langer (1864-1928) zurück und wurde 1910 eröffnet. Den Tresor hat der Hamburger Tresorhersteller „Emil May & Herrmann“ gebaut, wie eine Aufschrift verrät. Zwei Schlösser hat der dunkle Schrank, im unteren der beiden stochert Jordan Caffrey mit einem Spezialwerkzeug herum. Ab und an macht es „Knack“, doch öffnen lässt sich der Tresor noch immer nicht.

Jordan Caffrey verschwindet kurz zu seinem Auto, um noch mehr Werkzeug zu holen. Zielstrebig rückt er dem Tresor auch damit zu Leibe. Welchen Schatz mag der Safe beinhalten? Der historischen Überlieferung nach, so heißt es im Hotel, könnten sich persönliche Gegenstände jüdischer Gäste in ihm befinden, die diese vor ihrer Flucht oder Deportation aus Nazi-Deutschland im Hotel Reichshof zurückließen.

Plötzlich knackt es laut. Jordan Caffrey hat es geschafft, die Tresortür lässt sich endlich öffnen. Er weicht zur Seite, denn diesen besonderen Akt überlässt er Kathrin Wirth-Ueberschär.

Aufgeregt, nervös und leicht zitternd zieht die Hotel-Managerin die schwere Tür nach rechts auf. Zum Vorschein kommen ein größeres Fach ganz oben, zwölf Schubladen in der Mitte sowie ein Karton im unteren Bereich. Kathrin Wirth-Ueberschär zieht vorsichtig die Schublade mit der Nummer eins auf. „Oh, welch Überraschung“, sagt die Managerin mit leicht getrübter Stimme, denn die Schublade ist leer.

Bei der nächsten Schublade hat sie Erfolg: „Ein Gutschein für eine Einzelfahrt zum Flughafen.“ Es bleibt nicht bei diesem einen Fund: Unten im Karton findet die Hotelchefin Tresor-Aufbewahrungsquittungen von 1989, im oberen Fach einen Aktenordner mit der Aufschrift „Dienstplan Hoteldiener“ und Einträgen bis 1990. Daneben liegen Visitenkarten von „Horst Nielsen Chefportier“ mit dem „Maritim“-Logo. Die „Maritim“-Hotelgesellschaft betrieb das Haus von 1989 bis 2014, nachdem es sich zuvor stets in Händen der Familie Langer befunden hatte.

Fest steht jetzt: Der alte Tresor war nicht, wie angenommen, seit Kriegsende verschlossen. Kathrin Wirth-Ueberschär ordnet ihre Gefühle: „Ich bin nicht erleichtert oder enttäuscht, sondern irgendwas dazwischen.“ Das Hotel-Team sei regelmäßig dabei, die Geschichte des Hauses aufzuarbeiten. Hätte der Safe Stücke aus der Nazi-Zeit beinhaltet, wären diese „eine Hypothek für uns“.

Mit den gerade mal rund 35 Jahre alten Fundsachen indes sei „ein Puzzlestück“ dazugekommen, mit dem sich „ein Stück Übergangsgeschichte“ aufarbeiten lasse – der Übergang vom familien- zum konzerngeführten Hotel. Die Fundsachen sollen Teil einer Ausstellung zum 115. Geburtstag des Hotels Reichshof Hamburg werden.