Die WG aus dem Pastorat

Er ist vor dem Krieg aus Syrien geflohen. Jetzt lebt Alaa Muslet in Hamburg – in einer Wohngemeinschaft mit dem Pastor der St.-Petrus-Gemeinde aus Heimfeld.

Gemeinsamer Tee unter Mitbewohnern: Alaa Muslet und Pastor Christoph Borger
Gemeinsamer Tee unter Mitbewohnern: Alaa Muslet und Pastor Christoph BorgerJohanna Tyrell

Hamburg. Es ist eine Wohngemeinschaft der besonderen Art, die sich seit Februar im Pfarrhaus der St.-Petrus-Gemeinde in Heimfeld zusammengefunden hat. In einer kleinen Einliegerwohnung, die zum Pfarrhaus von Pastor Christoph Borger gehört, wohnt seit Februar der 32-jährige Syrer Alaa Muslet. „Manchmal essen wir zusammen, oder Alaa kocht mir einen viel zu starken Kaffee“, erzählt Borger über das WG-Leben. Über Beziehungen entstand der Kontakt zwischen den Männern. Ein Aufruf in der Gemeinde genügte, um Muslets Wohnung mit Möbeln und Alltagsgegenständen auszustatten.

Seine ersten fünf Jahre in Deutschland verbrachte Muslet im hessischen Korbach, arbeitete als Gabelstablerfahrer. Doch dann zog ihn die Sehnsucht nach seinem kleinen Bruder in den Norden – 4000 Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt Deir ez-Sor, an der Grenze zum Irak.

„Das ist nicht mein Krieg!“

Was Alaa Muslet erzählt, ist keine Geschichte über tote Angehörige und Verfolgung. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes und seiner Familie, der von sich sagt: „Das ist nicht mein Krieg.“ Als 2011 die Gewalt in Syrien begann, rief sein Vater alle seine Kinder zusammen, schwor sie darauf ein: „Wir ergreifen keine Partei! Wir töten niemanden! Und bis das alles vorbei ist, verlassen wir das Haus so wenig wie möglich.“

Große Wellen, kleines Boot

Bald kratzte die Familie ihr Hab und Gut zusammen, zog von der Stadt aufs Land, dort wo der Krieg noch nicht so gewaltig tobte. Alaa Muslet blieb zu Hause. Fünf Jahre lang. Irgendwann konnte er nicht mehr schlafen, mochte nicht mehr essen. „Vater, ich will Europa. Ich sterbe hier jeden Tag 1000 Mal – auf der Flucht über das Meer kann ich nur einmal sterben. Das ist es wert.“ Sein Vater verstand und ließ ihn ziehen.

Zusammen mit seinem Schwager und dessen Bruder ging es im Sommer 2015 per Bus, Boot und zu Fuß durch die Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien, Bulgarien nach Österreich. „Ich habe zum ersten Mal das Meer gesehen. Da hatte ich ehrlich Angst. Die Wellen waren so groß und das Boot so klein“, erinnert sich Muslet. Aber in seinem Kopf sei immer wieder dieser eine Gedanke gewesen: „Alaa, hier kannst du nur einmal sterben.“

Seine erste längere Bleibe hatte er dann in Korbach. Bevor er überhaupt die notwendigen Papiere hatte, richtete er sich im Keller seiner Unterkunft ein Zimmer ein, und begann Deutsch zu lernen – mit Wörterbuch und Youtube-Videos. Als er fünf Monate später mit einem offiziellen B1-Deutschkurs beginnen konnte, durfte er diesen gleich überspringen. Inzwischen hat Alaa Muslet das Sprachniveau B2 und sucht einen Job. „Ich nehme jedes Angebot an. In meinem Kopf gibt es erstmal keine Arbeit, die ich nicht machen würde“, sagt er. Und was wäre sein Traum. Über Alaa Muslets Gesicht breitet sich ein Lächeln aus: „Mein Traum wäre eine eigene Eisdiele. Das Eismachen habe ich in Korbach gelernt. Und die Deutschen liebten Eis, sagt er.

Schlimme Dinge erlebt

Corona macht Alaa Muslets Situation nicht leichter. „Kurz nach seiner Ankunft hat er angeboten, in der Gemeinde zu helfen“, erzählt Pastor Christoph Borger. Doch aktuell findet das Gemeindeleben nur virtuell statt. Dabei seien es gerade soziale Kontakte, die Alaa Muslet sich nun wünscht. „In der Zeit in Deutschland bin ich offener geworden. Ich brauche arabische und deutsche Freunde – das sind wie zwei Beine, auf denen ich stehe“, sagt er.

Auch wenn er seine Familie vermisst – Muslet möchte in Deutschland bleiben. Er habe schlimme Dinge erlebt. In Syrien töten sich die Menschen gegenseitig und damit sterben Menschlichkeit und Freiheit. „Hier gibt es Regeln, die für alle gelten und eingehalten werden. Das liebe ich“, sagt er.

Info
Arbeitsangebote per E-Mail an Pastor Christoph Borger unter pastor.borger@petrus-heimfeld.de