Das Einhorn gilt heute als niedliches Wesen, das in Filmen oder auf Spielzeug seinen Platz hat. Eine neue Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini will nun die lange und religiöse Geschichte des Fabelwesens zeigen.
Es gibt Symbole, die die Menschheit schon seit Jahrhunderten begleiten. Das Kreuz des Christentums, der von einer Schlange umwundene Äskulapstab der Medizin – und das Einhorn. Das Einhorn? Das mag verwundern, vermittelt die heutige Popkultur schließlich nicht den Eindruck, dass besagtes Fabelwesen eine lange und religiöse Tradition in der Menschheitsgeschichte vorzeigen kann. Einhörner scheinen ein Produkt der Moderne, sie tauchen in Filmen und auf Spielzeug auf, werden digital als Abbilder und Animationen ständig neu ins Leben gerufen. Die neue Ausstellung “Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst” im Potsdamer Museum Barberini will ab Samstag die reichhaltige Symbolgeschichte des Einhorns wieder in Erinnerung rufen.
Wie weit Darstellungen von Einhörnern in der Zeit zurückreichen, wird schon beim Blick in den ersten von insgesamt neun Ausstellungssälen deutlich. Ein aus Holz geschnitztes Ebenbild des Fabelwesens datiert aus dem Jahr 25 vor Christus. Die Figur aus China war am Eingang einer Grabkammer platziert, um finstere Dämonen abzuwehren. Das Einhorn erscheint hier als starkes, kämpferisches Tier, und bildet damit einen Gegenpol zum heute gängigen Bild des kindlichen, niedlichen Einhorn-Charakters.
“Das Einhorn hat im Lauf der Zeit viele verschiedene Zuschreibungen durchlebt”, erzählt der Chefkurator des Museums, Michael Philipp, am Donnerstag bei einem Presserundgang. Lange sei das Wesen christlich geprägt gewesen, gar ein “Symbol für Christus”. Das Einhorn findet sich an mehreren Stellen in der Bibel und auf Altarbildern. Davon zeugen in der Schau auch einige Gemälde, in denen Einhörner mit Jungfrauen abgebildet sind. Später entwickelte sich das Einhorn zu einem “Symbol der Keuschheit”, so Philipp, ehe es nach dem 16. Jahrhundert vornehmlich als Wappentier fungierte.
In der Schau zeichnen rund 150 Werke aus einem Zeitraum von etwa 4.000 Jahren den Weg, den das Einhorn als vielschichtiges Fabelwesen gegangen ist. Das Museum präsentiert Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, illuminierte Manuskripte, Plastiken und Tapisserien. Relativ chronologisch aufgestellt, ist der Rundgang durch die Ausstellung zugleich ein Rundgang durch verschiedene Wahrnehmungen und Funktionen des Einhorns.
Die Ausstellung präsentiert Werke namhafter Künstlerinnen und Künstler wie Albrecht Dürer, René Magritte, Aurélie Nemours, Rebecca Horn und Maerten de Vos. Knapp 80 Leihgeber steuerten Stücke bei, darunter das Grüne Gewölbe Dresden, das Metropolitan Museum of Art in New York, das Rijksmuseum in Amsterdam und der Louvre in Paris. Allein die hohe Zahl der Leihgeber zeige, dass das Einhorn ein fester Bestandteil der Kunstgeschichte sei, erklärt Philipp.
Bis zum 17. Jahrhundert seien die Menschen davon ausgegangen, dass Einhörner tatsächlich existieren würden. “Sie werden acht Mal in der Bibel erwähnt, dann muss es doch stimmen”, so Philipp. Dazu hätten viele Reiseberichte von Sichtungen der Wesen erzählt. Damals hätten Reiseberichte und Schrift eine hohe Glaubwürdigkeit besessen. Neben Gemälden und Skulpturen sind einige dieser Reiseberichte in der Ausstellung zu sehen, der es durch die verschiedenen Gattungen der Kunstwerke gelingt, einen übergreifenden thematischen Überblick zu ermöglichen – auch, wenn dieser Anspruch sicher nicht komplett erfüllt werden kann.
Der Glaube an die Existenz von Einhörnern bröckelte besonders durch einen Tierband des Schweizer Arztes Conrad Gessner (1516-1565). In dem Band bildete er zwar auch ein Einhorn ab. Aber, wie Philipp erzählt, schrieb Gessner dazu: “So bildeten Künstler das Einhorn ab, aber genaues weiß ich nicht.” In diesem Satz zeigten sich Prinzipien der modernen Wissenschaft, so Philipp. Die Quellen zu hinterfragen, die Texte zu prüfen. Das Einhorn könne aus heutiger Sicht so als Symbol gegen Falschnachrichten gedeutet werden.
Begleitend zur Schau, die bis zum 1. Februar 2026 läuft und in Kooperation mit dem Musée de Cluny in Paris entstanden ist, werden Führungen, Vorträge und Workshops angeboten. Diese sollen den Zweck der Ausstellung unterstreichen: einen anderen Blick auf das Einhorn zu bekommen als nur die popkulturelle Version.