Die unbekannte Seite von Emil Nolde

Das Werk des expressionistischen Malers Emil Nolde ist weltberühmt. Eine Ausstellung in Kassel widmet sich nun seiner weniger bekannten Seite: der nationalsozialistischen Gesinnung.

Verfremdungen seiner Bilder zeigt die Nolde-Ausstellung in Kassel
Verfremdungen seiner Bilder zeigt die Nolde-Ausstellung in Kasselepd-bild / Dieter Schachtschneider

Das Video zeigt Hände, die einen Karton öffnen. Zum Vorschein kommt ein Bild von Emil Nolde (1867-1956), das aber plötzlich nur noch in schwarz-weiß zu sehen ist. Mit diesem Video, großformatig auf eine Stellwand projiziert, beginnt der Rundgang durch die Ausstellung „nolde/kritik/documenta“, die vom documenta archiv, der Draiflessen Collection, der Nolde-Stiftung Niebüll und dem Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball verantwortet wird. Sie ist vom 10. Dezember bis zum 19. Februar 2023 im Kasseler Fridericianum zu sehen.

Der Start in die Schau ist programmatisch, denn die Verfremdung der sonst vielen Menschen vertrauten Werke von Emil Nolde ist Kuball ein wichtiges Anliegen. Vor originale Ölgemälde hat er dichromatische Scheiben gestellt, die die bunten Farben nun ganz anders zeigen. „Man kann Nolde nicht mehr so wie früher sehen“ sagt Kuball. Denn die nationalsozialistische Vergangenheit des Künstlers, die zwar kein Geheimnis war, sei erst im 21. Jahrhundert einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgeworden.

Gebrochene Persönlichkeit

Emil Nolde sei eine gebrochene Persönlichkeit gewesen, sagt die Direktorin des documenta-archivs, Birgitta Coers. So habe er seine Autobiografie immer an die Maßgabe der Systeme angepasst. Unter anderem hatte Nolde antisemitische Passagen in seiner Autobiografie, die in dieser Form bis 2008 noch in Umlauf war, nach dem Krieg größtenteils getilgt. Obwohl die Verantwortlichen der ersten documenta-Ausstellungen über Noldes Antisemitismus Bescheid gewusst hätten, habe man seine Werke ausgestellt. Damals sei es um die kräftigen Farben und das künstlerische Können Noldes gegangen, erläutert Coers. 1963 seien seine „ungemalten Bilder“ aufgetaucht, die dann auf der documenta 3 im Jahr 1964 gezeigt wurden. Aber auch auf den documenta-Ausstellungen 1955 und 1959 sei Nolde prominent vertreten gewesen.

Farblich verfremdet

„Die documenta hat eine starke Rolle bei der Mythenbildung von Nolde gespielt“, ist Kuball überzeugt. Nicht nur Nolde selbst habe dazu beigetragen, auch viele Kunsthistoriker hätten das Bild eines von den Nationalsozialisten als „entartet“ geächteten Künstlers gezeichnet, der nun rehabilitiert werden solle. Kuball erklärt, er wolle Nolde einmal in einer Art und Weise zeigen, wie man sie bisher nicht gekannt habe. Neben farblichen Verfremdungen hat Kuball auch einige der rund 450 ethnografischen Gegenstände, die Nolde von seinen Weltreisen mitbrachte, in einen Computertomografen gelegt. Die so entstandenen Bilder werden zwischen 16 und 22 Uhr auf die Seitenwand des Fridericianums projiziert und vermitteln ungewohnte Einblicke.

Die Ausstellung zeigt weiter zahlreiche Reproduktionen von Bildern, die aber nur in schwarz-weiß-Tönen ausgeführt sind. Unter anderem auch die 30 im Jahr 1964 auf der documenta 3 als „ungemalte Bilder“ gezeigten Aquarelle, darunter vier Originale. Der Rest besteht aus den schwarz-weiß gehaltenen Reproduktionen und vermittelt einen vollkommen anderen Eindruck. Nolde habe Staatskünstler des NS-Regimes werden wollen, erklärt Direktorin Coers. Die Einstufung seiner Bilder als „entartet“ habe ihn daher schwer getroffen.

Bekannt durch biblische Szene

Nolde ist der breiten Öffentlichkeit unter anderem durch beeindruckende biblische Szenen bekanntgeworden, die nach Aussage des ehemaligen Direktors der Nolde-Stiftung, Manfred Reuther, ein wichtiges Thema in dessen Gesamtwerk sind. Nolde wuchs in einer streng protestantischen Familie auf, der Vater amtierte als Kirchenvorsteher. Nolde stellte Jesus und die Jünger im Stil norddeutscher Bauern oder Fischer dar. Besonders kirchennah ist Nolde Reuther zufolge aber nicht gewesen, ihm ging es vor allem um eine individuelle Religiosität.

Kurzzeitig war Nolde auch Mitglied der Künstlergemeinschaft „Die Brücke“. Obwohl er 1920 die dänische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, fühlte er sich stets als Deutscher und war Mitglied der NSDAP.