„Die Truman Show“ – Medien-Satire trifft Nachdenklichkeit
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In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
K U R Z K R I T I K
Das Leben des Versicherungsagenten Truman Burbank ist ohne dessen Wissen seit 30 Jahren Gegenstand einer weltweit live übertragenen, äußerst erfolgreichen Fernseh-Seifenoper. Satire und Nachdenklichkeit treffen sich in Peter Weirs Film vor dem Hintergrund einer gigantischen „lebensechten“ Fernsehkulisse, und der Zuschauer wird zum Voyeur der Voyeure bei Trumans allmählicher Entdeckung einer alternativen Realität.
Brillant inszeniert und gespielt, nimmt der Film von 1998 Medienmanipulation, Konformismus und Kommerzialisierung aufs Korn, scheut aber auch vor existenzieller Fragestellungen nicht zurück. Und auch wenn vor 25 Jahren Donald Trumps „alternative Fakten“, das Thema Fake News, KI und die ungeahnten technischen Möglichkeiten der Manipulation noch nicht im Ansatz zu erahnen waren, bietet „Die Truman Show“ jede Menge Denkanstöße, die alles andere als überholt sind.
L A N G K R I T I K
Peter Weir hat „Die Truman Show“ in einem Interview mit dem Pink-Floyd-Song „Wish You Were Here“ verglichen: „So you think you can tell heaven from hell, blue skies from pain…“ Unsere Welt ist voll von Situationen, in denen sich Himmel und Hölle, Freude und Schmerz nicht mehr unterscheiden lassen. Die Geschichte vom Versicherungsagenten Truman Burbank, dessen Leben unbewusst für eine live übertragene Fernsehshow herhalten muss, ist auch unsere Geschichte – die Geschichte vom Konsumenten, dessen privates Dasein unbewusst der Manipulation durch die Medien hörig ist.
Jeder von uns könnte Truman Burbank sein, und Peter Weir gestattet uns, als Voyeure einem voyeuristischen Vergnügen anderer beizuwohnen: Wir schauen den Zuschauern beim Betrachten einer kalkulierten Exhibitionistennummer zu. Eine absurde Situation, aber kaum viel absurder als das Leben selbst. Das Wunder der „Truman Show“ – soviel sei gleich vorweggenommen – besteht darin, dass aus dem Voyeurismus allmählich Mitgefühl wird, sowohl auf der Leinwand als auch vor ihr.
Der Welt, wie wir sie kennen, setzt Regisseur Peter Weir eine Welt der Träume, Imaginationen und Obsessionen gegenüber, die seine Helden meist unwillentlich oder intuitiv erfahren und die sie gegen die Realität und gegen die Ungläubigkeit der anderen verteidigen müssen.
In „Die Truman Show“ wird das Thema der alternativen Realitäten auf die satirische Situation zugespitzt, dass dem Helden keine Wahl bleibt, weil sein Lebensraum von gottgleichen Manipulatoren für die Bedürfnisse des Medienzeitalters maßgeschneidert wurde. Umstellt von Verwandten, Freunden und Kollegen, die in Wahrheit Schauspieler sind, unwissentlich eingesperrt in ein überdimensionales Fernsehstudio und Tag und Nacht von 4.000 Kameras umlauert, ist Truman Burbank jeder Alternative beraubt.
Doch was auch der allmächtige Produzent dieser 24 Stunden täglich ausgestrahlten Live-Show nicht zu verhindern vermag, ist die Tatsache, dass Truman Burbank denken und fühlen kann – menschliche Eigenschaften, denen auf Dauer keine noch so perfekt organisierte Scheinrealität widersteht, auch wenn es bereits mehr als 10.000 Tage gut gegangen ist.
Trumans Heimatort Seahaven ist das perfekte Disneyland: gedrechselte Einfamilienhäuser ohne Spur von Individualität; die Straßenzüge, Parks und Geschäfte tragen die Farben von Limonade und Zuckerwatte; Sonnenuntergänge und Naturereignisse sind von digitaler Präzision und Zuverlässigkeit. Und hoch oben im artifiziellen Mond sitzt Christof, der allgewaltige Produzent der monströsen Peep Show, vor Wänden voller Monitore und spielt Gott.
Obwohl sich Christof gleich zu Beginn des Films ans Publikum wendet, muss sich der Zuschauer doch zunächst ebenso in Trumans Welt zurechtfinden wie dieser selbst. Die Illusion ist mit Fragezeichen versehen, aber keinesfalls von Anfang an desillusioniert. Das spart sich Weir für später auf.
Nach und nach erfährt man, was die Fans der Live-Show längst alles wissen: die traurige Episode vom Tod des Vaters und die Geschichte von Trumans hausbackenem Eheleben zum Beispiel. Spätestens von der Mitte des Films an aber sind die Zuschauer den weltweit faszinierten Truman-Anhängern einen Schritt voraus: Sie verstehen die traurigen Blicke und Gesten vor dem Badezimmerspiegel zu deuten; sie ahnen, dass Truman nicht nur aus einer Laune heraus Modemagazine zerschnipselt und allmählich das Bild seiner Traumfrau entstehen lässt.
Trotz des brillanten Einfalls, der hinter der „Truman Show“ steht, könnte das ein ziemlich eintöniger Film sein, hätte sich Weir nicht ein wahres Feuerwerk an doppelbödigen Bildkompositionen einfallen lassen. Fast hat er Story und Dialog gar nicht nötig, um den Blick auf immer neue Aspekte der scheinbar absurden Konstellation zu lenken. Konformismus, Kommerzialisierung, die Anmaßung, Gott zu spielen – alles manifestiert sich optisch, bevor es in der Handlung überhaupt eine Rolle zu spielen beginnt. Und Jim Carrey transponiert diesen gleichermaßen satirischen wie nachdenklichen Stil in die Figur des Truman Burbank.
„Die Truman Show“ ist keine Komödie und erst recht kein Jim-Carrey-Film im landläufigen Sinn, sondern eher eine hintergründige Sammlung von Einfällen, die auch Ionesco oder Beckett hätten Ehre machen können. Was so spielerisch beginnt, trägt am Ende nachgerade tragische Züge. Und wieder findet Weir dafür einfache, bestürzende Bilder: Truman, der im Unwetter an das Ende seines Universums gerät, steht vor einer getünchten Wand, die eben noch Himmel war, die keinen Trost und keine Sicherheit mehr zulässt.
In Trumans Kopf existiert längst die alternative Welt, aber diese weiße Wand verweigert sie ihm ebenso, wie es all die Regieanweisungen getan haben, mit denen seine Umgebung 30 Jahre lang zwangsarrangiert wurde. Hinter der Wand liegt das Unbekannte, das Unbewährte und Ungesicherte. Hinter der Wand liegt aber auch die Hoffnung auf Erlösung. Es ist die uralte existenzielle Frage, vor der Truman steht. „So you think you can tell heaven from hell, blue skies from pain…“