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Die seelische Widerstandskraft von Kindern stärken – So klappt’s

Vom Schulstress bis zum Verlust nahestehender Menschen – Krisen gehören auch für Kinder zum Leben. Mit gezielter Förderung können sie daran wachsen statt zu zerbrechen.

Die Fünf in der Mathearbeit, die Scheidung der Eltern, der Tod der geliebten Großmutter – auch Kinder erleben Niederlagen und Schicksalsschläge. Doch während die einen daran verzweifeln und womöglich gar eine psychische Erkrankung entwickeln, lernen die anderen aus der Krise und werden zu selbstbewussten Erwachsenen. Womit hängen diese Unterschiede zusammen?

“Wer schwierigen Lebenssituationen gut bewältigen will, braucht eine psychische Stärke und Widerstandskraft, die wir als Resilienz bezeichnen”, erläutert Katharina Bühren, Ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München. “Resilienz ist nicht angeboren, und Erwachsene können einiges tun, um sie bei Kindern zu fördern.”

In der heutigen Zeit, in der Soziale Medien Kriegsszenen live ins Kinderzimmer bringen und die Klimaangst vor allem unter jungen Menschen um sich greift, sei es besonders wichtig, dass Heranwachsende eine klare Bezugsperson hätten, betont die Expertin. Bei diesem “Ankerpunkt” müsse es sich nicht zwangsläufig um die Eltern handeln; ein Lehrer, die Nachbarin oder die Tante kämen beispielsweise ebenso in Frage. “Derjenige muss bereit sein, sich auf das Kind und seine Lebensrealität einzulassen und echtes Interesse zeigen”, erklärt Bühren. Dazu gehöre vor allem, dass man immer wieder das Gespräch mit dem Jungen oder Mädchen suche und dessen Stimmung wahrnehme.

Es gelte, auch Emotionen wie Angst, Wut oder Trauer zu würdigen und bei einer altersgemäßen Verarbeitung zu helfen. So könne man etwa einem wütenden Kleinkind vorschlagen, eine Runde ums Haus zu laufen oder einem missmutigen Teenager, eine Freundin anzurufen: Auf diese Weise könne das Regulieren der eigenen Emotionen erlernt werden, erklärt die Expertin. Wer zudem feste Grundsätze und Regeln vorlebe – wie Umweltbewusstsein, Toleranz und Ehrlichkeit -, gibt dem Kind Bühren zufolge “Leitplanken für den Lebensweg”, die in belastenden Situationen der Orientierung dienen.

Einen wichtigen Beitrag zu psychischer Stärke leiste zudem die Zugehörigkeit zu einer Gruppe Gleichgesinnter – sei es der Sportverein, die Freiwillige Feuerwehr oder eine kirchliche Organisation. “Wer im Fußballverein Tore schießt oder bei einer Theateraufführung auf der Bühne steht, merkt, dass er Fähigkeiten hat, mit denen er Herausforderungen meistern und selbstgesteckte Ziele erreichen kann”, erklärt die Fachfrau. Diese Kinder sammelten Erfahrungen, die zu einem gesunden Selbstbewusstsein führen und bei späteren Problemsituationen Mut machen könnten.

Als hilfreich empfindet es Bühren übrigens, wenn Kinder als feste Gruppe vom Kindergarten in die Grundschule oder an eine weiterführende Bildungseinrichtung wechseln. So könnten sie die “Meilensteine” ihres jungen Lebens gestärkt mit Gleichaltrigen erleben.

Die Kinder- und Jugendpsychiaterin weiß aus ihrer Arbeit mit Jugendlichen, welchem Leistungsdruck viele von ihnen in der Schule ausgesetzt sind und wie sehr sie dies aus dem seelischen Gleichgewicht bringen kann. Als Vorstandsmitglied der Stiftung Kindergesundheit plädiert sie deshalb für abgespeckte Lehrpläne.

“Vielen Lehrern ist aber inzwischen bewusst, dass die Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung sein sollte”, sagt die Psychiaterin. Die meisten Pädagogen würden sich in vorbeugender Gesundheitsförderung engagieren und in ihren Unterrichtsstunden über eine gesunde Lebensweise aufklären. “Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßige Bewegung sind die Basics, die thematisiert werden müssen und ohne die eine Resilienz gar nicht erst aufgebaut werden kann.”

Darüber hinaus fällt es der Fachärztin schwer, allgemeine Ratschläge zur Entwicklung von innerer Stärke zu geben. “Resilienz ist letztlich etwas sehr Individuelles, und jeder muss schauen, was ihn und sein Kind in den unvermeidlichen Krisen entlastet.”

Entwickle der Nachwuchs doch eine psychische Erkrankung, lasse sich dies nur in den seltensten Fällen auf ein einziges Ereignis zurückführen. Der Schuldfrage, die vor allem die Mütter ihrer jungen Patienten häufig umtreibe, erteilt Bühren eine Absage: Es sei unvermeidbar, dass Eltern in der Erziehung ihrer Kinder auch Fehler machten. Wer diese aber offen zugebe und die Gründe thematisiere, liefere einen zusätzlichen Baustein zu einer guten Beziehung und zu psychischer Widerstandskraft.

“Letztlich ist Resilienz nichts, das einmal aufgebaut wird und für immer bleibt”, betont die Expertin. Der Erhalt seelischer Stärke sei vielmehr eine lebenslange Aufgabe: Jeder – ob Kind oder Erwachsener – müsse immer wieder prüfen, was ihm guttue und dabei helfe, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude zu erhalten. Denn auch älteren Menschen helfen diese Ressourcen, um mit Stress, Problemen und Veränderungen besser umzugehen – wer resilient ist, kann sich laut Bühren schnell an neue Gegebenheiten anpassen und hat einen gewissen Schutz vor psychischen Erkrankungen.