Die Qual der Bischofswahl in Württemberg

Bischofswahlen waren in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg immer wieder Marathonläufe. Den Rekord hält die Wahl von 1993, als es 17 Wahlgänge brauchte, bis schließlich der nachträglich benannte Eberhardt Renz die erforderliche Mehrheit erhielt. Die Wahltortur stand aber schon an der Wiege für dieses Amt. Vor 100 Jahren bekam die württembergische Landeskirche – nach der Trennung vom Staat – mit Johannes von Merz ihr erstes gewähltes Oberhaupt.

Bischofswahlen in Deutschland waren vor 100 Jahren deshalb neu, weil seit der Reformation gegolten hatte: Der oberste Landesherr leitete gleichzeitig die Landeskirche. In Württemberg war das zuletzt König Wilhelm II., der aber bereits Ende 1918 die Krone niedergelegt hatte. Die Trennung von Kirche und Staat wurde 1919 in der Weimarer Reichsverfassung festgeschrieben und mit einem Landtagsgesetz in Württemberg 1924 besiegelt.

So kam es vor 100 Jahren zur ersten Wahl des Oberhaupts, das damals noch nicht Bischof, sondern Kirchenpräsident hieß. Ins Rennen gingen der Reutlinger Prälat Jakob Schoell und sein Stuttgarter Prälaten-Kollege Theodor Traub. Theologisch zählten beide eher zum liberalen Flügel. In fünf Wahlgängen erreichte keiner von beiden die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Man benötigte eine Alternative.

Die fanden die Verantwortlichen in Johannes von Merz, zu diesem Zeitpunkt schon 67 Jahre alt und als Oberkonsistorialrat bereits Mitglied in der württembergischen Kirchenleitung. Von Merz war eine vielseitige Persönlichkeit – mit Doktortitel in der Philosophie und Auslandsjahr in Italien. Das Pfarramt hatte er in Ludwigsburg kennengelernt. Außerdem liebte er die Kunst, engagierte sich im Vorstand des Christlichen Kunstvereins und war ab 1895 Herausgeber des Christlichen Kunstblatts für Kirche, Schule und Haus, das aber 1919 eingestellt werden musste.

Wie bei späteren württembergischen Bischofswahlen auch ging es mit dem neuen Kandidaten auf einmal schnell: Von Merz erhielt bei der Wahl am 1. April 1924 aus dem Stand fast 83 Prozent der Stimmen. Nun war es seine Aufgabe, der neuen Position ein Gesicht zu geben und die Landeskirche mit ihrer jungen Verfassung durch die Wirren der Weimarer Republik zu führen.

Fünf Jahre Zeit blieben ihm dafür, dann starb Johannes von Merz. Dass er ein Kompromisskandidat war, spielte keine Rolle mehr. Auch das ist eine Parallele bis zur Gegenwart. Denn der heute amtierende Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl etwa hatte bei seiner Wahl 2022 zunächst sogar die wenigsten Stimmen und musste die Kandidatur zurückziehen, was aber aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Landessynode genau so erwartet worden war. Nachdem die beiden anderen Kandidaten ebenfalls keine zwei Drittel der Kirchenparlamentarier hinter sich bringen konnten, wurden die Karten neu gemischt – und Gohl schließlich als für alle Flügel tragbarer Theologe ins Amt gehievt.

Für die württembergische Landeskirche war die Trennung von Staat und Kirche wenige Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten fast ein Glück im Unglück. Der Nachfolger des ersten Kirchenpräsidenten Johannes von Merz, Theophil Wurm, übernahm das Amt 1929 und benannte es 1933 in Landesbischof um. Wurm gelang es – wenn auch nicht ohne Kompromisse -, seine Kirche dem Zugriff der Nazis zu entziehen. Sie gehörte zu den wenigen sogenannten intakten Kirchen, in denen die Deutschen Christen keine Mehrheit erreichten.

Der Hauptgrund, warum Bischofswahlen in Württemberg bis heute kniffliger sind als in anderen Landeskirchen, dürfte in der basisdemokratischen Wahl der Landessynode liegen. Ihre Mitglieder werden – deutschlandweit einzigartig – per Urwahl von allen Kirchenmitgliedern bestimmt, während in anderen Landeskirchen zwischengeschaltete Gremien wie Kirchengemeinderäte oder Bezirkssynoden über die Zusammensetzung der Landessynoden entscheiden. Da es in Württemberg von liberal bis konservativ starke Bewegungen gibt, ist auch die Synode in einigen wichtigen Fragen eher gespalten. Deshalb tut sie sich bis auf den heutigen Tag so schwer, eine Person fürs Bischofsamt zu finden, die zwei Drittel der Kirchenparlamentarier hinter sich vereinigen kann. (0544/27.03.2024)