„Die perfekte Kandidatin“ – Film über eine Heldin mit Mission

Eine stille saudi-arabische Ärztin kandidiert eher unfreiwillig für den Gemeinderat – nimmt dann aber den Kampf gegen ihre konservativen Rivalen auf.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen

Die junge saudi-arabische Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) kandidiert eher unfreiwillig bei einer Lokalwahl und nimmt den Kampf gegen einen konservativen Rivalen auf, weil sie die Straße vor ihrem Krankenhaus asphaltieren lassen will. Damit provoziert sie einen Skandal, weil Frauen traditionell keine öffentlichen Ämter zugestanden werden.

Der Film von Haifaa Al-Mansour von 2019 setzt nach Ausflügen der Regisseurin ins englischsprachige Kino fort, was sie mit „Das Mädchen Wadjda“ 2012 erstmals in Angriff genommen hatte: langsame Emanzipation der Frauen im ultrakonservativen Saudi-Arabien. Sie folgt den Auseinandersetzungen der Medizinerin im Zuge ihres spontan organisierten Wahlkampfs und verbindet dies mit aufschlussreichen Beobachtungen zu den inneren Widersprüchen und einem sich sacht anbahnenden gesellschaftlichen Wandel im Land.

Man stelle sich vor, dass sich das eigene Kind schwer verletzt hat, weshalb man es auf schnellstem Weg ins Krankenhaus fährt. Doch kurz vor der Notaufnahme bleibt der Wagen im Schlamm stecken, ebenso wie alle anderen Fahrzeuge. Zwar gibt es überall asphaltierte Straßen, doch ausgerechnet die Zufahrt zum Krankenhaus gleicht einem Kartoffelacker.

Maryam ist in dieser Klinik Ärztin, und auch sie stapft täglich die letzten Meter durch Matsch zu ihrem Arbeitsplatz. Auf einer Wahlkampfparty, bei der sie für ihre Kandidatur zum örtlichen Gemeinderat wirbt, schildert sie den Gästen das Problem: Was, wenn es das eigene Kind wäre?

Die Lösung liegt auf der Hand, und alles könnte ganz einfach sein. Denn in der Gemeinde fehlt es weder an Geld noch an Ressourcen. Doch Maryam ist eine Frau. Die Menschen in ihrer streng patriarchalischen Heimat Saudi-Arabien sind es nicht gewohnt, eine weibliche Stimme zu hören. Schon ihr Job als Ärztin wirkt auf viele als Affront.

Mit „Die perfekte Kandidatin“ von 2019 knüpft die Filmemacherin Haifaa Al Mansour an ihren Debütfilm „Das Mädchen Wadjda“ an. Al Mansour gilt nicht nur als erste weibliche Regisseurin aus Saudi-Arabien, sondern hat mit der Emanzipationsgeschichte um ein zehnjähriges Mädchen mit einem unbändigen Fahrradwunsch den ersten Film geschaffen, der komplett auf saudischem Boden gedreht wurde.

In „Die perfekte Kandidatin“ geht es jetzt um eine erwachsene Frau. Sie hat sich ein kleines Stück Emanzipation erarbeitet, einen Beruf und ein Auto. Jetzt will sie zeigen, dass sie unabhängig von ihrem Geschlecht auch in der Gesellschaft etwas bewirken kann.

Zunächst stolpert Maryam eher aus Versehen in die Kandidatur für den Gemeinderat. Sie füllt den Anmeldebogen eigentlich nur aus, um zu ihrem Cousin vorgelassen zu werden. Doch dann wittert sie die Chance, endlich die Straße vor dem Krankenhaus bauen zu lassen.

So direkt und offensiv, wie Maryam ihren Wahlkampf trotz männlich-konservativen Gegenwinds betreibt, inszeniert auch Al Mansour ihren Film. Die Handlung verläuft geradlinig auf den Spuren von Maryams Wahlkampf. Steine werden ihr ausschließlich von außen in den Weg gelegt; ihre Entwicklung und das Ende des Films überraschen kaum. Doch gerade diese Unmittelbarkeit macht das Ungeheuerliche umso sichtbarer: das Ausmaß der Ungleichheit zwischen Mann und Frau.

Im Fall von Maryam genügt die Konkretheit ihres Alltags, um durch Filmbilder das Kino im Kopf in Gang zu setzen. Die (An-)Spannung und die Widersprüchlichkeiten der Verhältnisse verdeutlicht schon die Kontrastierung der unterschiedlichen Pole. Während der öffentliche Raum von den strengen Regeln der Tradition beherrscht wird, gehen in Maryams Familie Islam, weltliche Mode und Selbstbestimmung Hand in Hand.

So veranstaltet Maryams große Schwester hinter kahlen Betonmauern eine Prinzessinnenhochzeit in hohen Sälen und im verschnörkelten Disney-Ambiente, gespickt mit religiösen Lobeshymnen. Sobald der Bräutigam einzieht, werfen sich die Frauen schnell Tücher über die sorgfältigen Festfrisuren. Der verwitwete Vater geht dem „Risikoberuf“ eines Volksmusikers nach, obwohl seine Band und er um staatliche Anerkennung bangen und mitunter von muslimischen Extremisten bedroht werden.

Wenn auf ihren Konzerten starre weißgewandete Männer und ebenso starre schwarzverhüllte Frauen erscheinen und mehr und mehr zu tanzen beginnen, erzählen diese Szenen ähnlich wie die bloße Existenz von Al Mansours Filmen davon, dass sich Saudi-Arabien auch kulturpolitisch langsam öffnet.

Als typische Heldin mit Mission betritt Maryam selbstbewusst das Neuland, das sich Frauen in Saudi-Arabien bietet. So legt sie den Gesichtsschleier ab, der für Frauen bis 2018 noch verpflichtend war und an dessen Nicht-Tragen man(n) sich offenbar erst gewöhnen muss. Am Beispiel von Maryam lotet Al Mansour die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen aus. Innerhalb des Films scheiden sich an Maryam die Geister, sowohl unter Männern als auch unter Frauen. Das Sinnbild des Films, die Straße zum Krankenhaus, wird schließlich doch asphaltiert, wenngleich auf einem anderen Weg, als es sich Maryam vorgestellt hat. Ihren Platz findet sie dennoch.