Die Milieu-Krippe von Köln wird 25 Jahre alt

Eine Prostituierte neben Maria und Josef: Solche Szenen gibt es bei der Kölner Milieu-Krippe. Seit 25 Jahren gilt hier: „Jesus ist für alle geboren“. Krippenkünstler Benjamin Marx erklärt, wie er Vorurteile abbauen will.

Benjamin Marx stellt seine Krippenfiguren nicht einfach hin. Er inszeniert sie. Seit 25 Jahren kümmert er sich um die Milieu-Krippe der Kirche Sankt Maria in Lyskirchen – im Herzen Kölns. „Der Grundgedanke der Krippe ist: Jesus ist für alle geboren“, erklärt der gebürtige Saarländer. Daher gibt es bei ihm nicht nur die Heilige Familie und die Hirten – es gesellen sich auch Flüchtlinge, Prostituierte und Drogenabhängige dazu.

Seit 1998 stellt die Krippe das Leben rund um die Kirche Sankt Maria dar, wie es früher war und heute ist, in allen Formen und Farben. „Irgendwie finden die Menschen sich hier wieder“, sagt Marx und berichtet von tausenden Besuchern, die jedes Jahr zu der Kirche in einem alten Hafen- und Rotlichtbezirk kommen.

Das Milieu ist in den alten Straßenzügen der Stadt dargestellt. Diese Kulisse nutzt Marx, um gesellschaftliche Reizthemen aufzugreifen. „In diesem Jahr ist es das Thema ‚die sind so‘. Wir wissen alle, wie andere sind, obwohl wir sie gar nicht kennen. Die Moslems sind so, die Juden sind so, die Schwulen sind so, die Transgender sind so. Die sind alle so, wir wissen es – wir haben Vorurteile“, sagt der 69-Jährige.

Auf der einen Seite der Krippe hat er Menschen der etablierten Gesellschaft aufgestellt, die tuscheln und mit dem Finger auf eine Gruppe auf der anderen Seite zeigen. Dort stehen Menschen, die an der „Sammelstelle für Diskriminierungserfahrungen“ warten, um ihr symbolisches Päckchen an schlechten Erfahrungen abzugeben. Der Flüchtling David aus Eritrea, ein queerer Mann in Lederkombi oder die psychisch kranke Frau Tiefenbach. Die Mischung wirke: „Mittlerweile kommen auch Bischöfe her und schauen sich die Krippe an. Sie ist einfach überzeugend“, meint Marx.

Diese ehrlich-kritische Darstellung der Gesellschaft hat Marx aber nicht nur Lob eingetragen. Etwa für den Josef mit jüdischem Gebetsschal sei er rüde angegangen worden, so der studierte Psychologe.

Ein besonderes Erlebnis habe es mit einer Wuppertaler Pfarrersfrau gegeben. Diese habe sich lauthals über „die Nutte in der Krippe“ aufgeregt. Laut Marx lag Lyskirchen bis Ende der 50er-Jahre inmitten des Rotlichtmilieus. „Und die Schiffermadonna in Sankt Maria war eine Anlaufstelle für die Frauen. Als sich diese Pfarrersfrau so echauffiert hat, saß bei der Madonna eine alte Dame, ist aufgestanden, hat die Pfarrersfrau am Kragen gepackt und gesagt: ‚So, das ist meine Kirche und du fliegst hier raus.'“ Genau wie Jesus sei die Krippe für alle da. Gerade deshalb zeige sie nicht das klassische Bild mit Hirten, Ochs und Esel.

Die Milieu-Krippe ist für Marx Herzenssache. Der damalige Pfarrer habe ihm den Aufbau vor 25 Jahren angeboten. Es sei ein komplexes Kunstobjekt, für dessen Aufbau man ein „Detail-Fetischist“ sein müsse. In seine Arbeit lasse er sich von niemandem reinreden. Es dauere eine Woche, die Figuren in Szene zu setzen und lebendig zu machen. „Das ist ja nicht einfach Figuren-Aufstellen, da ist ja ein Konzept hinter. Klar kann man jemandem erklären, wie man was hinstellt. Aber der Geist dahinter fehlt dann.“

Er entscheide am Ende auch, welche Charaktere in die Krippe kommen: „Es gab schon viele, die zum Beispiel ihren Opa in der Krippe haben wollten, aber das funktioniert nicht. Wenn ich meine, die Zeit ist reif, dann kommt eine neue Figur.“ Hilfe bekommt Marx von Künstlern, die die Kulissen gestalten oder Figuren in Handarbeit schnitzen, etwa dem Siegburger Bildhauer Leif-Erik Voss.

Ist die Krippe dann einmal aufgebaut, kann sie vom ersten Advent bis zum 2. Februar besichtigt werden. Am zweiten Advent gibt es eine offene Führung mit Marx. Zum Jubiläumsjahr strahlt die ARD außerdem am 17. Dezember die Sendung „Lieder zum Advent“ vor der Kulisse der Kölner Milieu-Krippe aus.

Marx sagt, das Projekt verfolge ihn das ganze Jahr. Trotzdem verschwende er keinen Gedanken ans Aufhören. Im Gegenteil: Der Künstler hat noch Träume. „Der Kölner Dom hat eine schöne Krippe. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich die auch einmal aufbauen wollen.“ Zu gerne würde Marx mit den vielen Figuren in der Kathedrale – vom FC-Fan bis zum Straßenfeger – seine eigene Geschichte erzählen und die Geburt Jesu in die Gegenwart holen.