Vor der St.-Petrikirche in Braunschweig knistern Flammen in einer Feuerschale, durch die gotischen Kirchenfenster schimmert warmes Licht, leise erklingt „Have yourself a merry little christmas“, es duftet nach Punsch. Die „Mit-uns-Gemeinde“ hat zur „Adventsfeier im Petrihof“ geladen, nur noch wenige Tage bis Weihnachten.
Die Vorfreude auf Heiligabend in der inklusiven Gemeinde ist groß. In den Räumen neben der Kirche haben sich an diesem Nachmittag rund 35 Männer und Frauen versammelt. Sie lachen, klönen, spielen, basteln. Die Menschen kennen sich, der Umgang ist vertraut, die Atmosphäre gemütlich.
Nina Ebel ist eine von ihnen. Die 36-Jährige freut sich auf Weihnachten, besonders auf die roten Kugeln am Baum. „Die mag ich am liebsten.“ Sascha Lepjohins malt ein Mandala aus. Auch er ist voller Erwartungen. „Ich bin auch dabei“, sagt der 34-Jährige lachend. Das Fest verbringe er mit seiner Mutter, seinen Kumpels und Hund Mila.
Auch Hannah Winkler schmiedet Pläne. Mit ihrem Vater möchte sie zwischen den Jahren ins Kino, mit der Mutter shoppen und mit der Cousine chatten. Ihr Hamster Paula feiere auch mit, sagt die 38-Jährige und verrät ihren Weihnachtswunsch. „Eine Abba-CD, die alte ist kaputt.“
Seit fast 50 Jahren heißt die „Mit-uns-Gemeinde“ Menschen mit Behinderungen willkommen. Entstanden ist die Sonderpfarrstelle der evangelischen Propstei Braunschweig einst aus einer Elterninitiative. Väter und Mütter seien damals auf der Suche nach einem Konfirmationsunterricht für ihre behinderten Kinder gewesen, berichtet Barbara Eschen, Pfarrerin im Ruhestand, die die Gemeinde vertretungsweise leitet. „Sie wollten einen ruhigen, geschützten Ort für ihre Kinder.“
Obwohl die Überzeugung, dass Inklusion ein Menschenrecht ist und Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht werden muss, immer mehr akzeptiert wird, sind Eschen zufolge die Sorgen von Menschen mit Behinderungen vor „schiefen Blicken“ noch immer groß. Gerade erst habe eine kleine Umfrage in der Gemeinde ergeben, dass sich viele nach mehr Respekt sehnen. „Ich werde gesehen, und ich darf so sein, wie ich bin – diesen Wunsch äußern viele“, sagt die Theologin.
An diesem Nachmittag werden solche Wünsche erfüllt. Immer wieder geht die Tür auf, jemand Neues kommt herein und wird mit großem Hallo und guter Laune empfangen. Lutz Vahldiek, Freizeitpädagoge in der „Mit-uns-Gemeinde“, und Ehrenamtliche tischen Nudelsuppe mit Bockwürstchen und frische Waffeln auf. Die Tische sind dekoriert – mit Tannenzweigen und Goldfolie, an den Fenstern kleben Transparentsterne.
Annette von Borries spielt mit Heidi, Meik und Leon Keßler „Skyjo“. Das besondere Ziel des Kartenspiels sei es, „nicht viele, sondern möglichst wenig Punkte zu bekommen“, erklärt die 54-Jährige verschmitzt. Auf Inklusion angesprochen, fügt sie ernst hinzu: „Die Menschen sollen Geduld miteinander haben.“
Wie viele Mitglieder die „Mit-Uns-Gemeinde“ zählt, weiß Pfarrerin Eschen nicht genau. Es gebe keinen festen Gemeindebezirk, jeder sei willkommen. „Wir verfügen über rund 170 Adressen, manche kommen sogar aus Helmstedt.“ Am Konfirmandenunterricht beteiligten sich zurzeit sieben Jugendliche.
Zum Programm der Gemeinde gehören Wochenend-Ausflüge, abendliche Gruppentreffen sowie monatliche Gottesdienste in der St.-Petrikirche. „Wir halten sie in einfacher Sprache ab, benutzen kurze Sätze, keine Fremdwörter und erzählen chronologisch ohne Zeitsprünge“, sagt Eschen.
Zurzeit liegt der Fokus der Gemeinde auf dem Krippenspiel. Die Proben laufen, am 24. Dezember um 15.30 Uhr ist es so weit. Alle sind herzlich willkommen. Getreu dem Motto, das diese Gemeinde überzeugend lebt: Alle gehören dazu, niemand wird ausgeschlossen.