Die Letzte Generation und ihr „religiöser Eifer“

Eine „endzeitliche Begründung“ für ihr Handeln hat der Soziologe Armin Nassehi bei der Letzten Generation ausgemacht. Positiver kommt bei ihm eine andere Klimabewegung weg.

Mit ihren Straßenblockaden – hier in München – sorgt die Letzte Generation für Aufsehen
Mit ihren Straßenblockaden – hier in München – sorgt die Letzte Generation für AufsehenImago / aal.photo

Die Klima-Aktivisten der Letzten Generation scheitern nach Worten des Soziologen Armin Nassehi „an sich selbst und an ihrem religiösen Eifer“. Verstörend sei weniger der Protest selbst als die „endzeitliche Begründung, gegen die kein Argument mehr ankommt“, schreibt Nassehi in einem Beitrag für das Magazin Der Spiegel. Auch sollte man die „manchmal aufscheinende Missachtung demokratischer Verfahren und die Nötigung und Gefährdung von Personen nicht als Lappalie abtun“.

Die Letzte Generation habe den Begriff der Parusie umgekehrt, mit dem im Neuen Testament die endzeitliche Wiederkehr Christi bezeichnet wird, so der Wissenschaftler. „Die unmittelbar bevorstehende Implosion des Ganzen, von dem die Aktivisten sprechen, bedient solche endzeitlichen Erwartungen. Sie ist nah an einer manichäischen Scheidung zwischen Heil und Verdammnis, zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Leben und Tod.“ Dazu passe auch die „archaisch anmutende direkte Schuldzurechnung“ an ältere Generationen.

Lob für Fridays for Future

Der Initiative Fridays for Future sei es gelungen, das Thema Klimawandel wieder in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Protestbewegungen gerieten oft „in ein eigentümliches Steigerungsverhältnis“, erklärt der Soziologe: „Mit der kommunizierten Dringlichkeit von Problemen werden die Argumente immer unbedingter, und je unbedingter die Argumente werden, desto weniger lässt sich über die Bedingungen dessen reden, was zur Lösung der Probleme beitragen könnte.“ So bleibe die Frage, „ob und wie sich eine moderne Gesellschaft auf eine solche kollektive existenzielle Herausforderung wie den Klimawandel einstellen kann“, bislang ungeklärt.

Der Soziologe Armin Nassehi kritisiert die Letzte Generation
Der Soziologe Armin Nassehi kritisiert die Letzte GenerationImago / Manfred Segerer

Kritik übt Nassehi indes auch am Umgang mit den Protestierenden. Es sei „geradezu demütigend“, wie „erwartbar und drehbuchhaft“ die Reaktionen ausfielen: „Entweder man preist die Motive und interpretiert die Aktionen als Hinweis auf ein drängendes Problem. Oder man lehnt sie ab und sieht in den Protestierenden die üblichen verdächtigen arbeits- und reflexionsscheuen Leute, vor denen man immer schon gewarnt hat.“ Es brauche „ein Drittes zwischen den billigen Alternativen von Innovation und staatlichem Zwang, von Eigenverantwortung und Steuerung, von billiger Kapitalismuskritik und dem libertären Glauben an die Heiligkeit des freien Spiels der Kräfte“.