Die Lebensalter

Diskutiert wird heute: Ändern sich ethische Einstellungen im Laufe des Lebens? Jagen wir einem Jugendlichkeitswahn nach?

Von Christof Gestrich

Diskutiert wird heute: Ändern sich ethische Einstellungen im Laufe des Lebens? Jagen wir einem Jugendlichkeitswahn nach?

Bilder des Lebensbogens waren in Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Abgebildet war das menschliche Leben im Aufstieg und Abstieg. Der Zenit wurde beim sozial gut integrierten, kraftvollen vierzigjährigen Menschen gesehen. Beim Tiefenspsychologen C. G. Jung fand dies Berücksichtigung in der Theorie vom seelisch kranken, weil „stehen gebliebenen“ oder gar „regredierenden“ (rückwärtsschreitenden) Menschen einerseits und vom altersgemäß fühlenden, denkenden und handelnden gesunden Menschen andererseits. Der tiefen-psychologische Idealmensch lebt in seelischer Übereinstimmung mit der jeweils erreichten Altersstufe. Aber offenbar ist diese Harmonie schwierig. Für die Ethik bedeutet dies, dass sich auf den unterschiedlichen Lebensalterstufen unterschiedliche moralische Herausforderungen ergeben, was uns wohl bekannte Konflikte zwischen den Generationen beziehungsweise zwischen Jung und Alt hervorrufen kann. Ein Beispiel für die verschiedenartige moralische Wertigkeit von Handlungen in den jeweiligen Lebensaltersstufen: Ist ein Mensch noch jünger, sucht er vielerlei Güter zu erwerben, und zwar durchaus auch materielle Güter. Er darf das tun. Ist er aber älter geworden, sucht er manches von dem einst Erworbenen loszulassen und herzugeben. Er sollte es jedenfalls tun. Im Alter sollte nur noch „geistiger Gewinn“ erstrebt werden.

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