„Die Kirchenzeitung ist perfekt“

Seit 75 Jahren begleitet die Kirchenzeitung in Mecklenburg-Vorpommern ihre Leser. Und nicht nur dort: Auch in den USA wird sie gelesen – von einer emeritierten Germanistik-Professorin.

Sie lebt rund 14 Flugstunden von Mecklenburg-Vorpommern entfernt und liest mit Begeisterung die Kirchenzeitung: die Amerikanerin Anni Whissen aus Dayton im US-Staat Ohio, emeritierte Germanistik-Professorin. Sybille Marx hat mit der 85-Jährigen gesprochen.

Frau Whissen, wie kommt es, dass Sie in den USA unsere Zeitung lesen? Das liegt ja nicht so nahe …
Anni Whissen: Oh, das hat damit angefangen, dass ich jemandem einen Gefallen getan habe. Larry Hoffsis, Pastor in meiner Gemeinde, hat mich vor etwa vier Jahren gefragt, ob ich ihm bei einer Rede helfen könnte, die er in Deutschland halten wollte. Er war um 1989 als Austauschpastor für ein Jahr in Mecklenburg gewesen, nun war er zu einem Jubiläum eingeladen. Ich habe ihm mit der Grammatik geholfen, und dieses Geschenk habe ich tausendfach zurückbekommen. Denn in der Folge hat er mich mit vielen interessanten Personen in Kontakt gebracht, darunter mit Pastor Tilman Jeremias, Pastor Hans Kasch aus Schwerin und Handglockenspielern aus Gotha. Außerdem teilt Larry Hoffsis seitdem sein Kirchenzeitungs-Abonnement mit mir, sogar jetzt in Pandemie-Zeiten. Er legt mir die Zeitung vor die Tür.

Ist denn für Sie alles verständlich und interessant?
Ja. Ich komme gebürtig aus Dänemark, bin 1951, als 16-Jährige, mit meinen Eltern in die USA ausgewandert und habe hier am College weiter Deutsch gelernt. Später bin ich Professorin für Germanistik geworden und habe mehrere Bücher übersetzt. Für mich ist die Kirchenzeitung sehr lesbar, sehr klar, und ich finde, sie ist eine sehr gute Zeitung, ein Füllhorn von Süßigkeiten! Artikel über das Leben in der DDR finde ich besonders spannend. Oder diese Serien über Personen der Bibel und Mystiker – wenn da ein interessantes Gemälde gezeigt wird, schlage ich gleich nach, was das für ein Maler oder eine Malerin ist. Ich liebe auch die Artikel über alte Kirchen, die saniert werden: Es ist so toll, wie die Menschen dafür Geld sammeln! Sogar die Plattdeutsch-Artikel verstehe ich, weil das Platt Verbindungen zum Dänischen und Holländischen hat. Und ich mache das Kreuzworträtsel. Erst dachte ich, da hätte ich keine Chance, aber als Germanistin habe ich viele Synonyme und Wortdefinitionen gelernt – damit geht es.

Anni Whissen liest die Kirchenzeitung jede Woche in Ohio, USA – komplett, wie sie betont
Anni Whissen liest die Kirchenzeitung jede Woche in Ohio, USA – komplett, wie sie betontLew Hann

Haben Sie überhaupt keine Abneigung gegen die deutsche Sprache und Kultur?
Nein. Viele fragen mich das, weil Dänemark im Zweiten Weltkrieg ja von den Deutschen besetzt war. Aber ich bewundere die deutsche Sprache und Kultur, lese besonders gerne Thomas Mann und Theodor Fontane, vielleicht wegen ihrer Liebe zum Norden. Auch Mecklenburg-Vorpommern habe ich sehr gern. Ich bin früher ein paar Mal durchgereist auf dem Weg zu meiner Familie und zu Freunden in Dänemark – als sie noch lebten. Vor etwa 20 Jahren haben mein Mann und ich im Sommerurlaub mal in Schlössern und Burgen von Mecklenburg übernachtet. Das war sehr schön und interessant.

Wie ist Ihre Beziehung zu Kirche und Glauben?
Also, ich bin schon religiös, aber kein Kirchenmitglied, und jahrzehntelang hatte ich überhaupt keine Beziehung zur Kirche. Die Dänen und die Norddeutschen rümpfen über Gottesdienste ja eher die Nase. Ich habe allerdings vor neun Jahren angefangen, hier in Dayton den Gottesdienst der lutherischen Gemeinde zu besuchen – ursprünglich nur, weil ich einen befreundeten Theologie-Professor begleiten wollte. Dann habe ich in der Gemeinde sehr viele nette Menschen kennen gelernt und seitdem gehe ich regelmäßig, jeden Sonntag. Ob ich eine gute Christin bin, weiß ich nicht. Aber in unserer Gemeinde gilt: „Liebe Jesus, indem Du anderen dienst.“ Das finde ich gut. Ich habe überhaupt den Eindruck, dass die Kirche in den USA sehr sozial ist und ihre Hauptaufgabe darin sieht, anderen zu helfen.


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Wie war das Gemeindeleben bei Ihnen im vergangenen Jahr?
Ach, leider nicht so schön. Es werden digitale Gottesdienste angeboten und solche auf dem Parkplatz, wo man mit viel Abstand in den Autos sitzt. Aber das ist nichts für mich. Ich mag es am liebsten klassisch, so richtig mit Orgel. Gitarre oder Bongo-Trommeln oder was jetzt alles versucht wird in der Hoffnung, dass es den Leuten gefällt – das passt für mich nicht.

Haben Sie sich manchmal einsam gefühlt im vergangenen Jahr?
Ich fühle mich nie einsam, ich habe Musik und meine Bücher und den Garten. Dayton ist eine 14 000-Einwohner-Stadt mit ein paar Wolkenkratzern. Ich lebe am Stadtrand auf einem so großen Grundstück mit Wald, dass ich praktisch keine Nachbarn habe. Mein Mann ist vor zwölf Jahren gestorben. Aber ich telefoniere mit Freunden, und wenn man Wald und einen Garten besitzt, hat man immer etwas zu tun. Ich liebe die Gartenarbeit. Wobei es hier nicht so leicht ist, denn es gibt zu viele Rehe. Die sind zwar schön, aber sie stehlen mir meine Blumen …

Wenn Sie unserer Redaktion etwas raten wollten: Was könnten wir besser machen?
Besser? Nichts. Die Kirchenzeitung ist perfekt.