Nach Hiroshima schwankten Katholiken zwischen Zustimmung und Entsetzen. Heute lehnt die Kirche nicht nur den Einsatz, sondern sogar den Besitz von Atomwaffen ab. Papst Franziskus zog einen Schlussstrich.
Nur wenige Stunden nach dem Abwurf der zweiten Bombe auf Nagasaki am 9. August 1945 wandte sich Präsident Harry Truman auf der Potsdamer Konferenz an das amerikanische Volk. Gegen Ende dieser weithin ausgestrahlten Rede erwähnte Truman den Einsatz der Atombombe und dankte Gott dafür, dass die Amerikaner diese Waffe vor den Deutschen entwickeln konnten. “Und wir beten, dass er uns leiten möge, sie auf seine Weise und für seine Zwecke einzusetzen.”
Wie gefährlich die Bombe tatsächlich war und welche Auswirkungen sie hatte, darüber machte sich der US-amerikanische Präsident letztlich keine Illusionen. “Die Atombombe ist zu gefährlich, um in einer gesetzlosen Welt frei zugänglich zu sein. Deshalb haben Großbritannien, Kanada und die Vereinigten Staaten, die über das Geheimnis ihrer Herstellung verfügen, nicht die Absicht, dieses Geheimnis zu lüften, bis Mittel gefunden sind, die Bombe zu kontrollieren, um uns und die übrige Welt vor der Gefahr der totalen Zerstörung zu schützen”, sagte er in seiner Ansprache an die USA.
Seit den verheerenden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 positioniert sich die katholische Kirche mit einer klaren Haltung zur nuklearen Bedrohung. Während US-amerikanische Katholiken nach dem Krieg zwischen patriotischer Zustimmung und moralischem Entsetzen schwankten, entwickelte sich im Vatikan über Jahrzehnte hinweg eine immer stärkere Verurteilung nicht nur des Einsatzes, sondern schon des Besitzes von Atomwaffen.
Papst Pius XII. äußerte sich bereits 1943 gegen den Einsatz von Atomwaffen. In einer Ansprache vom 21. Februar 1943 an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften betonte er schon die Gefahr für den ganzen Planeten, wenn es zum Missbrauch der Atomenergie käme. Nach Ansicht der New York Times vom August 1945 war damit klar, wie früh der Papst über die Atomenergie informiert war.
Ein ungenannt gebliebener Journalist berichtete zwar für die New York Times aus dem Vatikan in den Tagen nach dem ersten Abwurf einer Atombombe, dass dort ein Gefühl der tiefen Abscheu gegen den Einsatz “einer so großartigen Waffe” aufgekommen wäre, es aber kein offizielles Statement des Papstes oder des Staatssekretariats geben würde. Es gab auch keins in den folgenden Tagen, nachdem in Nagasaki eine zweite Atombombe explodierte.
Einige Jahre später wurde Papst Pius XII. dann erheblich deutlicher. Am 24. Dezember 1955 beschrieb Papst Pius in seiner Weihnachtsbotschaft an die Welt eindringlich “das Schauspiel, das sich dem entsetzten Auge” nach dem Einsatz von Atomwaffen bieten würde: “Ganze Städte, selbst die größten und reichsten an Geschichte und Kunst, vernichtet; eine schwarze Decke des Todes über der pulverisierten Materie, die zahllose Opfer mit verbrannten, verdrehten, zerstückelten Gliedern bedeckt, während andere in Todeskrämpfen stöhnen”. Es werde keinen Siegesschrei geben, sondern nur das untröstliche Wehklagen der Menschheit, die verzweifelt auf die Katastrophe blickt, die durch ihre eigene Torheit verursacht wurde, prophezeite der Papst.
Sein Nachfolger, Papst Johannes XXIII., betonte in seiner Friedensenzyklika Pacem in terris (1963), dass bereits die bloße Existenz von Atomwaffen ein permanentes Risiko darstelle – die Gefahr sei groß, dass “unversehens ein Kriegsbrand entstehen kann”. Er forderte daher ein umfassendes Verbot dieser Waffen.
Auch Paul VI. warnte eindringlich vor dem endlosen Rüstungswettlauf. Das nukleare Wettrüsten bezeichnete er als eine problematische Zwischenlösung, die bestenfalls eine Atempause verschaffe, aber keinesfalls eine dauerhafte Antwort auf die Friedensfrage sei. Es könne keinen echten Frieden garantieren, solange gegenseitiges Vertrauen und konkrete Schritte zur Abrüstung fehlten.
Papst Johannes Paul II. war der erste Papst, der die Städte Hiroshima und Nagasaki besuchte. Bei seiner Reise im Februar 1981 rief er die Welt eindringlich zum Frieden und zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen auf. “An Hiroshima zu erinnern, heißt, den Nuklearkrieg zu verabscheuen. An Hiroshima zu erinnern, heißt, sich selbst dem Frieden zu verpflichten”, erklärte er dort.
Anders als seine Vorgänger, die den Einsatz sowie die Drohung mit Atomwaffen als moralisch unvertretbar verurteilten, ging Papst Franziskus noch einen entscheidenden Schritt weiter. Der am Ostermontag verstorbene Pontifex verschärfte die katholische Lehre deutlich: Auf einem Symposium im Vatikan im Jahr 2017 erklärte er die nukleare Abschreckung selbst für ethisch nicht mehr tragbar. Das bedeutete einen Bruch mit der bisherigen Haltung, die während des Kalten Krieges eine begrenzte Akzeptanz von Abschreckung zugelassen hatte.
Noch klarer wurde Franziskus bei seiner Rede in Hiroshima im November 2019. Dort erklärte er nicht nur den Einsatz, sondern bereits den bloßen Besitz von Atomwaffen für unmoralisch und sandte damit ein klares Signal an die internationale Staatengemeinschaft und insbesondere an die Atommächte.
In seiner 2020 veröffentlichten Enzyklika Fratelli tutti bezeichnete Franziskus die vollständige Abschaffung aller Atomwaffen als “moralische und humanitäre Pflicht”. Die dadurch eingesparten Rüstungsausgaben, so sein Appell, sollten in einen globalen Fonds fließen, “um dem Hunger ein für alle Mal ein Ende zu setzen und die Entwicklung der ärmsten Länder zu fördern”.