Die gute Fee

Baronin Felicitas von Reznicek (1904–1997) passt in keine Schublade: Ein literarisches Denkmal für eine Frau im NS-Widerstand

Von Katharina Körting

Nach ihr wurde keine Straße benannt, in der Erinnerungskultur kommt sie nicht vor. Die Berliner Journalistin Felicitas von Reznicek (1904–1997), genannt „Fee“, stemmte sich gegen die nationalsozialistische Willkür, ab 1940 auch als Agentin des britischen Geheimdienstes. Der in Berlin lebende Autor Claudius Crönert stellt die Baronin nun ins Zentrum eines biografischen Romans – und entreißt ihre Lebensleistung dem Vergessen – oder Verdrängen?

„Die Aufrechte“ heißt sein Buch. Es basiert unter anderem auf der unveröffentlichten Autobiografie seiner Heldin. Und weil von Reznicek nicht nur in der Berlin-Charlottenburger Knesebeckstraße 32 lebte, sondern auch zur Gemeinde der dortigen Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gehörte, war deren Pfarrer Martin Germer der Gastgeber bei der Buchvorstellung Anfang Juli.

Johann Hinrich Claussen, der EKD-Kulturbeauftragte, moderierte die Veranstaltung im Werkstattforum des Europacenters – und freute sich über das große Interesse. Mehr als 50 Menschen kamen zur Lesung. Auch Kompositionen von Emil Nikolaus von Reznicek (1860–1945) gab es zu hören, gefühlvoll vorgetragen vom schottischen Pianisten Patrick Walliser. Der österreichisch-deutsche Komponist von Reznicek wurde, so erfuhr man, „EN“ genannt und war der Vater der Widerstandskämpferin.

Verliebt in Hitlers Adjutanten

Als Managerin ihres Vaters hatte „Fee“ Beziehungen zur Auslandspresse und Gelegenheiten zu Reisen, auf denen sie Informationen weitergab, etwa – ohne dass die Alliierten reagierten – über die geplante Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands 1936. Ihre Kontakte nutzte sie für geheime Botendienste. Einer jüdischen Familie half von Reznicek bei der Ausreise. Als „Schriftleiterin“ – „Schriftleiter“ war das Nazi-Wort für Redakteure – arbeitete sie eng zusammen mit dem später wegen Landesverrats verhafteten, NS-kritischen Journalisten Rudolf Pechel, Herausgeber der „Deutschen Rundschau“. 

Im „Dritten Reich“ beging sie Hochverrat. Entsprechend groß war ihr Risiko. Als sie 1935 Fritz Wiedemann begegnete, damals Adolf Hitlers Adjutant, verliebte sie sich heftig. Es war ein Balanceakt, ihre politischen Überzeugungen nicht dem Verhältnis zu opfern und weder sich noch ihre Liebe zu verraten. Später wurde Wiedemann selbst zum Gegner Adolf Hitlers.

Geheime Botendienste

1936 ließ „Fee“ ihrem Geliebten den Text für eine Kanzelabkündigung des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche zukommen – im Auftrag Pechels, der im Sinne der kirch­lichen Widerständler handelte. Sie war dagegen, fand es zu riskant. 

Auf der Grundlage einer unbeachtet gebliebenen Denkschrift an Adolf Hitler wollten einige Theologen zeitgleich Eingriffe des Staates in kirchliche Belange kritisieren. 

Eigentlich sollte die Aktion während der Olympischen Spiele stattfinden, damit etwaige Gestapo-Verhaftungen von Pfarrern sozusagen vor laufender Kamera erfolgten und ausländische Medienvertreter darüber berichteten. Auch Gedächtniskirchenpfarrer Gerhard Jacobi nahm teil. 

„Die Gemeinde lauschte gebannt, als der Pfarrer von einer ‚falschen Religion‘ im Land sprach, mit Werten wie ‚Blut und Rasse, Volkstum und Ehre‘ in ihrem Mittelpunkt“, heißt es im Buch. „Fee hielt die Luft an. Pechel drückte die gefalteten Hände ineinander.“ Die interne Abstimmung der Theologen brauchte jedoch viel Zeit, so dass die Aktion erst nach den Spielen stattfand. Und weil Wiedemann die Sache nicht wie geplant weitergab, wurden rund 500 Pfarrer nicht wie vorge­sehen während der Abkündigung, gewissermaßen öffentlich verhaftet, sondern erst später. 

Zwischen drei Männern

Crönert verortet seine Heldin zwischen den „wichtigen drei Männern in ihrem Leben“, dem Vater, Pechel – und Wiedemann. „Sie hing nun einmal an diesem Mann, sie liebte ihn so sehr“, heißt es im Klappentext. „Und dennoch hinterging sie ihn.“ Auch in ihrem Wikipedia-Eintrag ist viel vom Adjutanten des „Führers“ die Rede. In dessen Eintrag wird, wie auch in dem über Rudolf Pechel, nicht mal Rezniceks Name erwähnt. Erst Crönerts historischer Roman macht ihr mutiges Leben, angereichert mit vielen Dialogen, einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Der Berliner Bezirk Charlottenburg ist der Schauplatz für das ansprechend geschriebene Buch über eine couragierte Frau, die in schlimmen Zeiten mutige Entscheidungen traf. Es endet mit dem Satz: „Ihre Tätigkeit für den deutschen Widerstand ist bislang nicht gewürdigt worden.“

Die Frage, ob „Die Aufrechte“ sein eigener Titelvorschlag gewesen sei, beantwortet der Autor übrigens mit Nein. Er habe „Gute Fee“ favorisiert. 

Claudius Crönert, Die Aufrechte. Roman aus dem Widerstand, Gmeiner Verlag, Meßkirch 2022, 512 Seiten, 26 Euro, E-Book 19,99 Euro