Die Gottesstory, oder: Alles wird gut

Karl Barths Theologie scheint vielen ein wuchtiges, schwer zugängliches Gebilde. Ein Buch von Ralf Frisch versucht einen neuen Zugang – und macht zumindest neugierig auf mehr

Karl Barth – ein Name mit Signal- wirkung. Fast jeder verbindet et- was mit dem Schweizer Theolo- gen, an den in diesem Jahr erin- nert wird: Für die einen ist er der Erfinder der dialektischen Theo- logie, die Gott als den „ganz ande- ren“ gegen jede Art von mensch- licher Vereinnahmung verteidigt; für andere ist er der Hauptverfas- ser der „Barmer Theologischen Erklärung“, die der Bekennenden Kirche eine Stimme gegen den na- tionalsozialistischen Totalitätsan- spruch verlieh. Man kennt ihn als Gegner von Wiederaufrüstung und Massenvernichtungswaffen – und nicht zuletzt als Verfasser des 13-bändigen unvollendeten Mo- numentalwerkes „Kirchliche Dog- matik“ (an der, auch das muss er- wähnt werden, seine Mitarbeite- rin und langjährige Geliebte Char- lotte Kirschbaum erheblichen An- teil hatte).
Ein Buch des Nürnberger Theo- logen Ralf Frisch wagt jetzt einen neuen Zugang: „Alles gut. Warum Karl Barths Theologie ihre beste Zeit noch vor sich hat“.
Was Frischs Buch auch für inte- ressierte Nicht-Theologen lesens- wert macht, ist seine flott geschrie- bene Einführung in Barths Ge- dankenwelt. Der Autor schlägt da- bei einen Bogen von Barths Ansatz im 1919 erschienenen Kommentar zum Römerbrief bis hin zur „Kirchlichen Dogmatik“, deren letzter Band 1967 als Fragment erschien. Er zeigt,
wie sich die radikale Kritik an der Instrumentalisierung Gottes durch Theologie und (Kriegs-)Po- litik, die Gott als den „ganz ande- ren“ jeder menschlichen Erkennt- nis entzieht, wandelt zu einer ver- söhnlichen Haltung: „Alles, so Barth, ist gut, weil Gott alles gut gemacht hat“ – mit dieser Quintes- senz der „Kirchlichen Dogmatik“ trifft Barth nach Frischs Ansicht eine Sehnsucht unserer Zeit. Sei- ne Theologie, so meint der Nürn- berger Theologieprofessor, ist also höchst aktuell. Zum Beleg dieser These verweist Frisch nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Barthschen Rede von Gott.
Die nämlich ist in seinen Augen ebenso revolutionär wie modern: Statt Aussagen über Gott quasi-wis- senschaftlich zu for- mulieren und sich so in einen Konflikt mit den anderen Wissen- begeben, verweigert sich Barth dieser Diskussion und schreibt stattdessen eine große Gegengeschichte gegen die Mäch- te dieser Welt – eine „Gottesstory mit Happy End“ oder eine „Neu- schöpfung der göttlichen Wirk- lichkeit durch Sprache“, so Frisch. Diese erzählerische Form ma- che es Barth möglich, die Wider- sprüche zu umgehen, die sich aus seiner fundamentalen Kritik an der Rede von Gott ergeben, so Frischs These. Denn, so eine häufig geäußerte Anfrage, wenn sich Gott doch jeder menschlicher Er- kenntnis entzieht – warum weiß ausgerechnet Karl Barth dann so viel über ihn zu sagen?

Frischs Antwort auf diese Fra- ge: Barth will in seiner „Kirchliche Dogmatik“ keine objektiv-wissen- schaftlichen Aussagen machen, sondern eine Weltgeschichte er- zählen, deren Wucht er mit dem „Herr der Ringe“-Zyklus von J. R. Tolkien vergleicht.
Denn „auch erfun-
dene und erdach-
te Worte können
die Kraft haben,
die Welt zu verän-
dern. Und wenn dem so ist, sind sie wahr – wahrer als die Wirklichkeit des sogenannten Bodens der Tat- sachen, den wir so oft für das ein- zig Wahre halten.“
Daher hat Frisch auch wenig einzuwenden gegen den unge- bremsten Optimismus, mit dem Barth das Weltgeschehen betrachtet. Gott führt das Regiment; das Böse ist im Kreuz Christi längst überwunden und damit „nichtig“ geworden; und der Mensch ist, wie er ist und darf das auch sein: einer, der sich nicht selbst erlösen muss; ein von Gott Freigelassener, den Gott seinerseits jedoch nie- mals loslässt. Diese Grundgedan- ken Barthscher Theologie werden gut lesbar herausgearbeitet.
Allerdings wird dabei ein Di- lemma deutlich: Barths Theologie taugt sehr wohl als Kritik an be- stehenden Verhältnissen, damals wie heute. Als positive Antwort auf die Frage „Wie soll ich leben?“ war und ist sie jedoch problematisch. Und hier bleibt Frisch eine Aktua- lisierung schuldig.
Ein Beispiel: Barth beantwor- tet die Frage „Wie sollen Christen handeln?“ mit der Aufforderung zur „Gelassenheit“: Weil Gott alles schon gut gemacht hat, kann und muss der Mensch nichts hinzufü- gen, im Gegenteil: Er darf es „las- sen“, die Welt selbst zu verbessern. Das ist eine nachdenkenswerte ethische Haltung, wenn es um mich selbst geht. Wenn jedoch ne- benan ein Kind missbraucht wird, ist diese „gelassene“ Haltung das Gegenteil von christlich. Wie geht es hier aus der Gelassenheit in eine christlich verantwortete Aktion?
Frisch benennt zwar solche Widersprüche in Barths Denken, be- lässt es aber dabei und bietet kei- ne aktuellen Lösungsansätze. So bleibt die Botschaft, die Frisch als so aktuell angepriesen hat, auf der Hälfte stecken. Ob das an Barths Theologie liegt oder an der Zuspitzung, die Frisch in seinem Buch vor- nimmt, muss an anderer Stelle dis- kutiert werden. Eine anregende Hinführung zu Barths Theologie bleibt das Buch „Alles gut“ auf jeden Fall.

Ralf Frisch: Alles gut. Warum Karl Barths Theologie ihre besten Zeiten noch vor sich hat. Theolo- gischer Verlag Zürich, 204 Seiten, 19,90 Euro.