„Die göttliche Stimme“

Eines war ihr wichtig: „Ich bin keine Jazz-Sängerin. Ich bin Sängerin“, stellte Sarah Vaughan klar. „Was ich musikalisch machen möchte, ist die Musik, die ich mag. Und ich mag jede Art von Musik“, sagte sie 1981 in einem Interview. Die vor 100 Jahren geborene Vaughan (1924-1990) gehört mit Ella Fitzgerald und Billie Holiday zu den größten Sängerinnen des Jazz. Aber sie war in der Gospelmusik ebenso zu Hause wie auch im Bebop, Soul oder Pop.

„Sarah Vaughan ist ein Pop-Phänomen“, so beschreibt es Henrik von Holtum, der am Bochumer Institut für Popmusik der Folkwang Universität der Künste unterrichtet. Auch wenn einige Alben von der Besetzung, vom Stil und vom Sound her eine Jazz-Aura hätten, habe sie damit ein Mainstream-Publikum erreicht, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die „Inszenierung als göttliche Stimme“ habe sie zur Ikone gemacht. Bei ihren Auftritten wurde die Sängerin als „The Divine Sarah Vaughan“ (die göttliche Sarah Vaughan) gefeiert. Ihr Gesang sei einerseits völlig unangestrengt und damit auch „popkompatibel“, erklärt Holtum. Zugleich spüre man, „dass man so etwas schon können muss“.

Ihren größten kommerziellen Hit hatte Vaughan mit „Broken Hearted Melody“ (1959), der mehr als eine Million Dollar eingespielt haben soll. Ihre Jazz-Pop-Nummer „Lullaby of Birdland“, die auch Amy Winehouse später sang, gilt bis heute als Klassiker. Legendär ist auch ihr Auftritt auf dem Newport Jazz Festival im Jahr 1954. Im Jahr 1985 erhielt sie einen Stern auf dem Hollywood Walk auf Fame. 1988 wurde sie in die American Jazz Hall of Fame aufgenommen.

Vaughan machte sich schon früh einen Namen, weil sie mit der Virtuosität eines Saxofons improvisierte und damit Scat- und Rap-Gesang vorwegnahm. Charakteristisch war auch das Glissando, mit dem sie in ihre tiefste Stimmlage hinabglitt.

Ihre Stimme habe jeden Raum gefüllt, war 1990 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu lesen: „Weich und doch bestimmt, mit Vibrato oder klar intoniert, mit einer Technik, die so vollkommen war, dass Bewunderung und Gefühl eins wurden.“

Geboren wurde Sarah Lois Vaughan am 27. März 1924 in Newark im US-Bundesstaat New Jersey. Ihre musikalische Ausbildung als Pianistin und Sängerin erhielt sie in der dortigen Kirche „New Mount Zion Baptist Church“, zu der ihre Mutter sie von klein auf mitnahm. Dort spielte sie Orgel und sang im Kirchenchor. Mit 15 Jahren trat sie bereits in Nachtclubs auf, mit 18 gewann sie einen Amateurwettbewerb im berühmten Apollo Theater in New York.

Als der Bebop den Jazz revolutionierte, spielte sie mit den angesagtesten Musikern dieser Richtung wie Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Miles Davis. Sie sang bei Count Basie, Duke Ellington, Oscar Peterson oder mit Streichorchestern. 1981 veröffentlichte sie ein komplettes Album mit Songs der Beatles.

Die Musik Sarah Vaughans ist nach Überzeugung von Holtum auch heute noch aktuell. „Sie ist auf jeden Fall eine Künstlerin, die man im Bereich Jazz- und Popmusik kennen sollte“, erklärt er. Sie habe einen Stil geprägt, mit dem sich heute jede Sängerin und jeder Sänger auseinandersetzen müsse, die oder der sich für diese Farben und diese Haltung interessiere.

Wenn sie gefragt wurde, was das Geheimnis ihrer göttlichen Stimme sei, antwortete Vaughan, sie trinke, sie rauche und sie sei die ganze Nacht auf. 1989 erhielt die Musikerin, die zwei Packungen Zigaretten am Tag geraucht haben soll, die Diagnose Lungenkrebs. Nach einer Chemotherapie starb Vaughan, die viermal verheiratet und geschieden war, am 3. April 1990 im Alter von 66 Jahren zu Hause in Kalifornien bei ihrer Tochter.

Die Trauerfeier fand in der „New Mount Zion Baptist Chuch“ in Newark statt – dort, wo ihre über fast fünf Jahrzehnte dauernde Karriere ihren Anfang genommen hatte. In ihrer Geburtsstadt kommen bis heute jedes Jahr Tausende von Nachwuchssängerinnen und -sängern aus aller Welt zusammen, um beim Wettbewerb „Sarah Vaughan International Jazz Vocal Competition“ anzutreten.