Die Glöckner von Notre-Dame

Vor gut fünf Jahren brannte die wohl wichtigste Kirche Frankreichs lichterloh. Anfang Dezember wird Notre-Dame in Paris wiedereröffnet. Für den richtigen Ton sorgen die Wensauers aus dem niederbayerischen Anzenkirchen.

Notre-Dame de Paris. Wahrzeichen der Stadt. Nationalheiligtum. Weltweit bekannte Kathedrale. Als Mitte April 2019 das frühgotische Meisterwerk in Flammen aufging, starrte die Welt auf die Bilder der Verwüstung. Wenn – so der Plan – am 7. Dezember, am Vorabend des katholischen Festtags Mariä Empfängnis, die Glocken der Kathedrale zur Wiedereröffnung erklingen, will die Welt wieder teilhaben.

Und nicht nur die große weite Welt, sondern auch ein Dorf im niederbayerischen Rottal. Dort werden die Wensauers die Festlichkeit verfolgen. Die Hammerschmiede des kleinen Familienbetriebs sorgen nämlich für den guten Ton. Ohne ihre Handwerkskunst wäre Stille über den Dächern der Ile de la Cite, der Seine-Insel im historischen Zentrum, so wie in den vergangenen Jahren. Die Rottaler Glockenklöppel verleihen der “Emmanuel”, der größten Glocke Frankreichs, und ihren neun Geschwistern ihre ehernen Stimmen.

“Öffnet jetzo Euer Herz, lauscht dem Widerhall der Glocke, …. Mutter aller Kathedralen des gewaltigen Paris …. Erst wenn die Glocke hell erklingt, dann wird unsre Seele schweben; Ein edler Geist die Seile schwingt, weckt das Gotteshaus zum Leben”. Victor Hugo (1802-1885) spricht diese Verse in der Dramatisierung seines Romans “Der Glöckner von Notre-Dame” von Matthias Hahn. So wird es sein.

Zum ursprünglichen Glanz nach dem großangelegten Wiederaufbau ertönt das Geläut, das Victor Hugo mit seinem Roman unsterblich gemacht hat. Martin Wensauer und seine zehn Hammerschmiede sind schon stolz, dass sie Anteil an dem Jahrtausendwerk haben. Der Chef des Familienunternehmens blickt auf eine lange Tradition zurück. Seit 1863 werden in Anzenkirchen Metalle per Hand geschmiedet oder gehämmert. Heute mit Alleinstellungsmerkmal.

Klöppel für Glocken: Hier sind die Niederbayern praktisch internationaler Marktführer. Auf einem Turm in Chile, in einem Kriegerdenkmal in Washington, in Hongkong: Man verlässt sich auf die Präzisionsarbeit der Rottaler. Glockengießer aus aller Welt rufen bei Martin Wensauer an, wenn es genau und auch einmal sehr schnell gehen muss.

So vor wenigen Jahren, als Schweizer Gießer innerhalb weniger Monate Glockenklöppel für das komplette Geläut von Notre-Dame orderten. “Das war schon cool”, meint der Chef. “Für diese Kathedrale arbeiten zu dürfen, war für uns eine Auszeichnung.”

Die “Emmanuel” ist die größte Glocke der Kathedrale und wird als wohlklingendste Glocke Frankreichs gerühmt. 1682 gegossen, brauchte sie einen neuen Klöppel. 447 Kilogramm Stahl haben die Hammerschmiede verarbeitet. Jetzt kann die mit ihren geschätzt 13 Tonnen Masse zu den größten und bedeutendsten Kirchenglocken in Europa zählende “Emmanuel” wieder im Schlagton fis0 −6/16 erklingen.

Ein Klöppel muss mit seiner Gewichtsverteilung individuell an die Glocke, den Läutewinkel angepasst sein. Es muss alles stimmig sein; im wahrsten Sinn des Wortes. Wensauer: “So eine Glocke ist eigentlich ein eigenes Musikinstrument.” Das Geläut – ein Orchester aus Bronze. Um feinste Nuancen geht es, wenn der schwere Schmiedehammer maschinell oder per Hand auf das glühende Erz mit rund 1.000 Grad ohrenbetäubend niedersaust. Millimeter-Arbeit mit schwerem Gerät. Schweißtreibend und kraftraubend.

Glockenstuhl, Joch, Glocke und eben der Klöppel machen den Klang aus. “Drum aus Eisen laßt uns machen, einen Kloppstock, lang und schwer, daß er tönend möge krachen, wenn er baumelt hin und her”, schreibt Alexander Moszkowski in seinem “Lied vom Glockenklöppel” (1898). Aus einem Stück Stahl muss er geschmiedet werden. Als Einzelstück im Freiformschmieden. Das Schwung- und Flugverhalten ist zu berechnen, der Anschlag an der Glocke.

“Der Klöppel ist vor allem im Bereich des Schaftes sehr hohen Belastungen ausgesetzt”, sagt der Firmenchef. Das Schmieden “hat den entscheidenden Vorteil, dass die Materialfasern zwar verformt aber nicht unterbrochen werden”. Somit hat der Klöppel eine höhere Festigkeit, mit der er in kommenden Jahrhunderten die Glocke küssen soll, wie es in der Tradition heißt.

Auch die “Emmanuel” im Südturm der Kathedrale will geküsst sein. Ausschließlich zu besonderen Anlässen und Festtagen; zuletzt zur Eröffnung der Olympischen Spiele. Der 7. Dezember wird ebenfalls so ein Datum sein. Am Vorabend des “Hochfestes der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria”, an dem die Pariser das Fest der Patronin ihrer Kathedrale begehen, ist Wiedereröffnung mit einer Vesper. Erzbischof Laurent Ulrich hat im Februar per Hirtenbrief angekündigt: Orgel und Glocken werden wieder erwachen. Am Sonntag, 8. Dezember, findet die erste heilige Messe statt.

Doch bis dahin war es auch für die Glockenbauer ein steiler und steiniger Weg. Die Joche, also die Aufhängung der Glocken, wurden erneuert. Von einer “pharaonischen Baustelle” sprach Chefarchitekt Philippe Villeneuve, “in einem “sehr kurzen Zeitrahmen”. Experten aus ganz Europa und ein Heer von Arbeitern haben jetzt fünf Jahre lang getüftelt und geschuftet, um Notre-Dame, vor dem Großbrand von 2019 jährlich von rund 12 bis 14 Millionen Menschen besucht, wieder zum Leben zu erwecken.

Über 2.000 Menschen in über 250 Firmen wirkten mit: Steinmetze, Gemälderestauratoren, Dachdecker, Brandschutztechniker, Heizungsmonteure, Elektriker, Tischler, Orgelbauer – und Glockenexperten wie die Rottaler Hammerschmiede.

“Selbst die dunkelste Nacht wird enden und die Sonne wird aufgehen”, schreibt Viktor Hugo in “Les Miserables”. Das gilt für Notre-Dame in diesen Tagen. Die Sonne strahlt durch die mächtige Rosette der Kathedrale in tausend Farben; die Glocken künden vom großen gemeinsamen Werk. Und die Glöckner von Notre-Dame aus Anzenkirchen dürfen ein paar von diesen Strahlen für sich behalten.