Die Glocke aus dem abgerissenen Dom klingt weiter

Der Hamburger Dom, eins mitten in der Innenstadt, wurde vor 200 Jahren abgerissen. Eine kleine Gemeinde am Rande der Stadt kaufte eine der Glocken. Dort erklingt sie noch heute.

Die Glocke "Celsa" erklang früher im ehemaligen Hamburger Dom
Die Glocke "Celsa" erklang früher im ehemaligen Hamburger DomThomas Morell / epd

Hamburg. Vor gut 200 Jahren haben die Hamburger ihren mittelalterlichen Dom im Zentrum der Stadt abgerissen. Nur der Name des Volksfestes „Hamburger Dom“ erinnert noch an den einstigen gotischen Prachtbau. Sein Glockenklang aber ist noch erhalten. Die viertgrößte Glocke wurde seinerzeit von der Gemeinde Altengamme im Osten Hamburgs gekauft. Bis heute ruft „Celsa“ in den Vierlanden zum Gottesdienst in eine der schönsten Kirchen der Hansestadt.

Die Ursprünge des Doms reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück. Knapp 500 Jahre dauerte es, bis aus der Holzkirche eine fünfschiffige Basilika wurde. Sie stand zwischen der heutigen Hauptkirche St. Petri in der Mönckebergstraße und dem Verlagsgebäude der „Zeit“ am Speersort und zählte zu den größten mittelalterlichen Kirchbauten in Norddeutschland. Der „Domplatz“ ist heute ein freier Platz. Rund 40 Sitzbänke markieren den ehemaligen Standort der Säulen.

Als Hamburg evangelisch wurde

Wenige Jahre nach Luthers Thesenanschlag 1517 verbreitete sich auch in Hamburg evangelisches Gedankengut. Am 15. Mai 1529 wurde die Kirchenordnung des norddeutschen Reformators Johannes Bugenhagen angenommen. Vor allem das Domkapitel hatte sich heftig dagegen gewehrt. Einige Domherren verließen daraufhin Hamburg, andere wurden evangelisch. Nach dem „Bremer Vergleich“ 1561 bildete der Dom eine Insel in Hamburg, die auswärtigen Herrschern unterstand – zuletzt dem Kurfürsten von Hannover.

Mit dem Dom ging es bergab. Er hatte keine eigene Kirchengemeinde. Das Gebäude verfiel, die wertvolle Bibliothek wurde verkauft und Gottesdienste immer seltener. 1803 wurde der Dom verstaatlicht und fiel an die Stadt. 1804 wurde hier der letzte Gottesdienst gefeiert.

Ein Jahr später wurde der Dom abgebrochen, Steine und Grabplatten wurden als Baumaterial genutzt. Zuvor mussten jedoch rund 25.000 Leichen in der Kirche exhumiert und auf dem Michaelis-Friedhof am Dammtor wieder bestattet werden.

Händler und Handwerker konnten seinerzeit Stellplätze am und im Dom mieten. Es herrschte offensichtlich ein lebhaftes Treiben. Zahllose Kerzen erhellten den „engen, sonst verödeten Kreuzgang“, heißt es in einem Bericht von 1802. Dazu käme „das Gestoße, Getobe und Geschrei der Zuckerbäckerknechte und anderer sich priviligiert dünkender Lärmer“. Es sei aber „überaus traurig anzusehen, wie sich das alte, ehrwürdige Gebäude der Domkirche seiner endlichen Auflösung mit schnellen Schritten nähert“.

Mit dem Abriss wurden die Verkäufer, Handwerker und Gaukler heimatlos. Nach einigen Zwischenstationen siedelten sie sich 1893 auf dem Heiligengeistfeld vor den Toren der Stadt im heutigen St. Pauli an, wo noch heute dreimal im Jahr der „Hamburger Dom“ gefeiert wird.

Der Senat verkaufte auch die sechs Glocken des Doms. Die drei großen Glocken gingen an die benachbarten Kirchen, wo sie bei Bränden zerstört wurden. Der Weg der beiden kleinsten Glocken ist unbekannt. Die vierte Glocke aber wurde an die Gemeinde Altengamme verkauft.

Kostenpunkt 2.690 Mark Courant

Die 1,40 m hohe und knapp vier Tonnen schwere Glocke war 1487 in der Gießerei von Gerhard van Wou am Glockengießerwall gegossen worden, der heute am Hauptbahnhof vorbeiführt. Mit den Spenden von drei begüterten Gemeindemitgliedern konnte die Gemeinde Altengamme die Glocke „Celsa“ für 2.690 Mark Courant erwerben.

Die Kirche St. Nicolai in Altengamme. Foto: Thomas Morell / epd
Die Kirche St. Nicolai in Altengamme. Foto: Thomas Morell / epd

Verziert ist „Celsa“ mit zwei fein modellierten Reliefbildern, die die Jungfrau Maria mit dem Jesusknaben auf dem Arm zeigen. Knapp 100 Jahre läutete sie in Altengamme, dann riss sie in der Karwoche 1904. Der 40 Zentimeter lange Spalt wurde genietet, 1988 wurde sie noch einmal geschweißt.

Der einstige Riss habe den Glockenklang nicht beeinträchtigt, sagt Altengammes Pastor Martin Waltsgott. „Sie klingt wunderschön.“ Allerdings läute sie nur zehn Minuten lang, damit sie nicht zu sehr belastet werde.

Beliebt bei Radfahrern

Die Schätze der schmucken Altengammer Kirche stammen meist aus dem Barock. 59 schmiedeeiserne Hutständer zieren die Reihen der Männerbänke. Die mit Vierländer Motiven bestickten Sitzkissen auf den Bänken sorgen vor allem im Winter für einen annehmlichen Gottesdienstbesuch. Sehenswert sind auch die Kanzel und das Tonnengewölbe mit den blinkenden Sternen. Beliebt ist die Kirche bei Radlern und Spaziergängern aber auch, weil sie meist geöffnet ist.

Mittlerweile hat Hamburg mit der 1893 erbauten St. Marienkirche im Stadtteil St. Georg wieder eine „Domkirche“: Als am 7. Januar 1995 das katholische Erzbistum gegründet wurde, stieg sie zum „Mariendom“ auf. Die evangelische Kirche hat keinen Dom. Predigtstätte von Bischöfin Kirsten Fehrs ist der Michel. Wenn heute Hamburger allerdings „auf den Dom“ gehen, denken sie an Achterbahn, Zuckerwatte und Kinderkarussell. (epd)