Die ganze bunte Welt

Über den Predigttext zum 12. Sonntag nach Trinitatis: Markus 7,31-37

Predigttext
31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge 34 und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.

Ihh…ist ja ekelig“ – ist sich meine Konfigruppe einig, nachdem wir gemeinsam diese Heilungsgeschichte aus dem Markusevangelium gelesen haben.

Meine Konfis bleiben aber nicht bei diesem ersten Eindruck hängen. „Was hat der wohl gedacht, als Jesus ihn mitnimmt und sowas macht?“, überlegen sie weiter.

Ja, was hat der seit seiner Kindheit taube und nur stammelnde Mensch da gedacht? Spannende Frage. Die Aufregung um sich herum wird er mitbekommen haben. Irgendwas ist anders an diesem Tag. Sonst wird er von den meisten kaum beachtet, die wenigsten Menschen haben die Geduld, sich mit ihm auseinanderzusetzen, bis er sich ihnen verständlich machen kann.

Heute nehmen sie ihn aber mit und stellen ihn in die Mitte genau vor Jesus. Ich vermute, dass er in diesem Moment geahnt hat, dass dieser Jesus eine ganz besondere Bedeutung haben muss.

Ein Moment unter vier Augen

Jesus nimmt den überraschten und vielleicht auch verängstigten Mann erst einmal beiseite. Raus aus dem Trubel. Nur sie beide. Das ist ein seelsorglicher Moment unter vier Augen und nicht als Show vor der Menschenmenge gedacht.

Jesus hat die Not des Mannes gesehen, gehört und wahrgenommen. Er legt den Finger sprichwörtlich in die Wunde, berührt den tauben Mann und spricht nur ein Wort: „Hefata“ – Tu dich auf.

Und tatsächlich: Mit einem Mal kann der hören, seine Zunge löst sich. Was ein befreiender Moment muss das gewesen sein. Endlich all die Stimmen hören zu können, mit anderen sprechen zu können, Kinderlachen und Musik wahrzunehmen. Die ganze bunte Welt mit ihren Tönen. Und Teilhabe ermöglicht zu bekommen.

Heutzutage können Gehörlose verschiedene Berufe ausüben. Sie haben Vereine, sie haben ausgebildete Lehrer und Pfarrerinnen. Ihnen wird von früher Kindheit an medizinisch, pädagogisch und psychologisch bestmöglich geholfen. Früher war das nicht so. Sie waren an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Jesus öffnet dem gehörlosen Mann die Ohren und löst seine Zunge und öffnet ihm damit auch die Teilhabe am Leben. Er wird so zurück in die Gesellschaft gestellt. Denn sich nicht verständlich machen zu können, nicht zu hören und selbst nicht gehört zu werden macht einsam. Jesus hat den Mann aus der Mitte der Gruppe hinausgenommen, um ihn danach wieder mitten hinein in die Gesellschaft zu stellen. Wie Jesus das nun genau vollbracht hat, was seine Spucke da bewirkt hat, gehört zum Wunder dieser Erzählung.

Das Besondere für mich liegt in der befreienden Begegnung mit Jesus, seiner persönlichen Zuwendung zu dem Menschen. Jesus, der die Not des einzelnen Menschen sieht. Die Kirche mit ihrer Diakonie hat sich dieses Handeln Jesu zur Grundlage genommen. Es ist ihr Auftrag, Menschen beizustehen und ihnen zu einer eigenen Stimme zu verhelfen. Hilfe zu bieten, dass Menschen nicht mehr aufgrund ihrer Einschränkungen ausgegrenzt werden, sondern teilhaben können. Fürsprecher für die Menschen zu werden, deren Stimmen nicht gehört werden. Die keine Lobby haben in unserer Gesellschaft.

Kirche und Diakonie haben als Auftrag daran mitzuwirken, dass ein „Hefata“ geschieht. Das passiert in unseren Gemeinden, Gruppen und Kreisen und in professionellen Beratungsangeboten unserer diakonischen Einrichtungen. So lernen wir selbst immer wieder neu hinzuhören und hinzuschauen und unsere Stimme zu erheben. Unseren Mund zu öffnen und Stellung zu beziehen, wo Unrecht geschieht. Da, wo Menschen ausgegrenzt und an den Rand gedrängt werden.

Eine zukunftsfähige Gemeinschaft entsteht da, wo wir miteinander im Gespräch sind und aufeinander hören. Es ist gut, wenn wir das immer mal wieder hören und uns auffordern lassen: Hefata – Tu dich auf!

Meine Konfis fanden die Erzählung übrigens am Ende gar nicht mehr eklig. Sondern eine ziemlich coole und wunderbare Aktion von Jesus!