Die Friedhofsgärtnerin, die mitheult

Die Eltern von Margitta Stehmeier waren auf einem Friedhof beschäftigt – und sie selbst wuchs praktisch zwischen Gräbern auf. Inzwischen ist sie selbst seit über 30 Jahren als Friedhofsgärtnerin tätig. Über ein Leben, in dem sich vieles um den Tod dreht

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden". Diesen Vers aus Psalm 90 hat Margitta Stehmeier jeden Tag vor Augen, denn sie wohnt seit 1960 auf einem evangelischen Friedhof. 1987 hat sie die Arbeit als Friedhofsgärtnerin von ihrer Mutter übernommen. Die 60-jährige Friedhofsgärtnerin sagt von sich selber: „Ich habe mein ganzes Leben auf dem Friedhof verbracht.“ Carsten Griese sprach mit ihr darüber, wie es ist, als Kind auf dem Friedhof aufzuwachsen.

Was haben Ihre Eltern gemacht?
Meine Eltern waren im Dienst der Kirche und haben Beerdigungen vorbereitet. Sie haben beide auf dem Friedhof gearbeitet und wir sind als Kinder hier rumgeflitzt.

Wo sind Sie groß geworden?
Ich bin auf dem Friedhof aufgewachsen. Wer hat schon so einen großen Spielplatz? Das war für mich überhaupt kein Problem. Wir haben schöne Bäume, ich konnte immer rumklettern. In der Nachbarschaft haben wir fünf Jungs, sechs Jungs, mit denen ich groß geworden bin.

Haben Sie als Kind auch blöde Sprüche zu hören bekommen?
Ganz klar, dass immer mal ein dummer Spruch kam, aber wie ich schon gesagt habe: Ich bin hier mit fünf oder sechs Jungs groß geworden – die anderen hatten keine Chance.

Gab es denn auch Verbote auf diesem großen Spielplatz?
Oh ja, Verbote gab es. Wir durften nicht auf den Gruften spielen. Obwohl doch auf vielen Gruften zu der Zeit noch so schöne weiße Kieselsteinen lagen. Nur Opa, der hat immer mal ein Auge zugekniffen. Aber vor unserer Mutter hatten wir Manschetten. Na ja – die haben ja auch nicht immer alles gesehen. Die Jugend hier oben auf dem Schnee war wunderbar. Wir konnten ohne Ende spielen, wir durften nur nicht frech sein und mussten hören. Aber wenn Beerdigungen waren, dann war hier bei uns absolute Ruhe. Dann durften wir Kinder überhaupt nichts machen, dann mussten wir still sitzen. Aber dafür haben wir dann meistens ein dickes Leberwurstbutterbrot gekriegt.

Ist das seltsam, wenn die Eltern Beerdigungen vorbereiten?
Ich bin damit groß geworden. Das war eine ganz normale Geschichte. Ich habe auch immer geholfen. Wenn mein Vater das Loch ausgehoben hat – zu der Zeit wurde es noch mit der Hand gemacht –, stieß man auf Lehmschichten. Und aus dem Lehm konnte man wunderbare Knicker machen. Erst wurden die Knicker natürlich in der Sonne getrocknet, dann angemalt, und schon waren wir Kinder alle wieder beschäftigt.

Was sind Knicker?
Murmeln. Heute kennen wir die Glaskugeln. Wir hatten nur Lehmkugeln, für Glaskugeln hat Mutter kein Geld ausgegeben, die konnten wir uns selber machen.

Hatte der Tod für Sie als Kind etwas Bedrohliches?
Der Tod gehört zum Leben. Wir kennen es ja gar nicht anders. Heute, wo ich etwas älter geworden bin, geht mir das näher. Wenn die Nachbarschaft so vor mir steht und sagt, wir müssen für unsere Mutter eine Grabstelle aussuchen, dann bin ich heute noch immer eine, die mitheult.

Was tröstet Trauernde?
Wenn hier jemand vor mir steht und weint, weine ich leider Gottes immer noch mit. Ich habe aber schon sehr oft zu hören gekriegt, dass es viel besser ist, dass man Gefühle zeigt, als wenn es einfach an einem Menschen so abprallt. Bei der Arbeit auf dem Friedhof ist meinerseits noch immer sehr viel Herzblut dabei.

Was hat sich auf dem Friedhof verändert?
Die Friedhofskultur hat sich total verändert. Wer hätte vor zehn oder 15 Jahren bei uns hier auf unserem Dorffriedhof gedacht, dass wir einmal soviel Urnenbeisetzungen haben würden? Heute ist eine Urnenbeisetzung gang und gäbe. Oder wer hätte gedacht, dass Anrufe kommen mit der Frage: Was kostet eine Grabstelle? Was kostet eine Beisetzung? In der heutigen Zeit ist das eine ganz normale Geschichte, dass man sich auch nach Preisen erkundigt. Außerdem kommt die Generation heute auch nicht mehr zum Friedhof und pflegt eine Grabstelle. Jedenfalls nicht so, wie es früher gewesen ist. Die Leute kommen schon und gedenken der Verstorbenen, aber es ist nicht mehr so, dass sie groß Blumen pflanzen und die dann auch regelmäßig gießen.

Erinnern Sie sich an Pannen bei Beerdigungen?
Sehr gut sogar! Meine Eltern waren immer ganz nervös, was ich auch mit übernommen habe. Bei einer Beerdigung, als ich noch klein war, wurde der Sarg vom Verein getragen. Die Vereinsmitglieder, die zu einer Beerdigung gehen, sind manchmal ein bisschen älter und haben nicht mehr so die Kraft. Und da haben wir es schon gehabt, dass der Sarg hochkant in der Grabstelle stand. Mein Vater hat dann rumexperimentiert und hat es geschafft, dass doch noch alles ordnungsgemäß verlaufen ist. Ich weiß noch, dass der schwarze Anzug nicht mehr schwarz war, sondern komplett voll Lehm.

Ist Ihnen in Ihrer Dienstzeit so etwas auch passiert?
Natürlich. Wieder sechs ältere Herrschaften, die das nicht im Griff hatten. Da passte der Sarg angeblich nicht in die Grabstelle rein. Aber es war gar nicht an dem. Die Träger haben irgendwie die Matten und die Laufbohlen, auf denen sie stehen, verschoben. Dann ist der riesengroße Sarg oben geblieben mit einer riesengroßen Trauergesellschaft und ich stand dann da und hab nur gedacht „Um Gottes Willen“. Na ja, der Pastor hat damals gut geschaltet. Der Sarg ist oben geblieben, die Leute sind alle an dem Sarg vorbeigegangen, haben Blümchen auf den Sarg gelegt. Nachdem dann alles vorbei war, mussten die Träger warten und der Sarg wurde runtergelassen. Da haben wir dann gesehen, was die Träger für einen Fehler gemacht haben.
Wie dann nachmittags die Angehörigen kamen, bin ich sofort hin, um mich zu entschuldigen. Dann haben die Angehörigen nur gesagt: „Ach, Frau Stehmeier, das war überhaupt nicht schlimm, unsere Mutter konnte das sowieso nicht ertragen, wenn man Erde auf den Sarg schmiss.“