Die Erfindung des Impressionismus

Anfang der 1860er Jahre treffen im Lehr-Atelier des Pariser Malers Charles Gleyre vier ehrgeizige junge Maler aufeinander: Claude Monet, Auguste Renoir, Alfred Sisley und Frédéric Bazille. Die religiösen, historischen und mythologischen Themen, mit denen ihr Lehrer Erfolge feiert, interessieren sie jedoch nicht. Sie wollen raus aus dem Atelier. Sie schnallen ihre Staffeleien auf den Rücken und fahren gemeinsam mit der Eisenbahn aufs Land, um dort die Natur mit eigenen Augen zu sehen und zu malen.

Was mit Ausflügen ins Grüne begann, gipfelte vor 150 Jahren in einer ersten gemeinsamen Ausstellung, die Geschichte schreiben sollte. Mit dieser Schau, eröffnet am 15. April 1874 im alten Atelier des Fotografen Nadar in Paris, erhielt die lockere Künstlergruppe 1874 ihren Namen: Der Kunstkritiker Louis Leroy bezeichnete sie wegen des scheinbar unfertigen Charakters ihrer Gemälde als „Impressionisten“. Zunächst als Spott gemeint, wurde der Begriff zum Markenzeichen.

„Eine radikale Neuerung der Impressionisten war ihre Hinwendung zur Malerei im Freien“, sagt Daniel Zamani, Impressionismus-Experte und Kurator am Potsdamer Museum Barberini, das die größte Monet-Sammlung außerhalb Frankreichs besitzt. Damit wichen sie vom Regelwerk der Kunstakademien ab, die die Darstellung idealisierter Wirklichkeiten propagierten. Landschaften etwa wurden im Atelier auf der Grundlage zahlreicher Skizzen und Vorstudien komponiert. „Das finale Gemälde war dann eher im Kopf des Künstlers entstanden als in der Realität“, erklärt Zamani.

Die jungen Künstler und Künstlerinnen hingegen verzichten auf allegorische, mythologische oder historische Themen und malen stattdessen reale Orte und Momentaufnahmen. Es ging ihnen darum, ihren Eindruck (impression) von einer Landschaft oder Situation wiederzugeben.

Neben den Landschaften entstehen Bilder mit Motiven, die bis dahin nicht als abbildungswürdig galten. Zu sehen sind das pulsierende Leben in der wachsenden Großstadt und die Industrialisierung: Menschen in Cafés oder qualmende Fabrikschlote.

Für viele Zeitgenossen ist auch der Stil der Impressionisten gewöhnungsbedürftig. Mit ihren sichtbaren Pinselstrichen und der hellen Farbpalette aus nebeneinander getupften, leuchtenden Farben lösen sich die jungen Maler und Malerinnen vom Ideal einer glatten Bildoberfläche mit fein herausgearbeiteten Details.

Wie kam es zu diesen radikalen Neuerungen, die heute als Revolution in der Kunst gelten? Eine Voraussetzung waren technische Errungenschaften, die das Arbeiten in der Natur ermöglichten. Tubenfarben und tragbare Staffeleien wurden erfunden. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes verschaffte den Parisern schnelle und erschwingliche Fahrten in die ländliche Umgebung, etwa nach Argenteuil, Chatou oder Bougival.

Entscheidend für die Formierung der Künstlergruppe der Impressionisten seien aber auch Änderungen im Ausstellungsbetrieb gewesen, erklärt die Kunsthistorikerin Barbara Schaefer, die die Ausstellung „1863 – Paris – 1874: Revolution in der Kunst. Vom Salon zum Impressionismus“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum kuratiert. Als die jungen Maler Mitte des 19. Jahrhunderts ihren neuen Stil erprobten, war der Kunstbetrieb in Paris noch fest in staatlicher Hand. Eine politisch gelenkte Jury entschied über die Aufnahme in den offiziellen Salon der Pariser Kunstakademie.

In der Künstlerschaft wuchs Anfang der 1860er Jahre der Unmut über den beschränkten Zugang zu den Salons. Als Zugeständnis räumte Kaiser Napoleon III. Künstlern 1863 erstmals die Möglichkeit ein, ihre abgelehnten Werke in einer separaten Ausstellung zu zeigen, dem „Salon des refusés“ (Salon der Zurückgewiesenen). Diese Ausstellung erregte Aufsehen. „Das Publikum sah, dass dort Werke von hoher Qualität gezeigt wurden“, sagt Schaefer. „Diesen Erfolg hatte der Kaiser so nicht erahnt. Seine Kunstberater rieten deshalb von einer Fortsetzung ab.“

Doch es war zu spät. Der „Salon des réfusés“ habe den Künstlern gezeigt, dass auch Ausstellungen außerhalb der offiziellen Salons erfolgreich sein könnten, erklärt Schaefer. „Der ‚Salon des refusés‘ war somit Voraussetzung der legendären Ausstellung von 1874, also der Geburtsstunde des Impressionismus.“ Erstmals organisierten 30 Künstlerinnen und Künstler eine gemeinsame Konkurrenzausstellung zum offiziellen Salon, darunter Edgar Degas, Claude Monet, Berthe Morisot, Camille Pissarro, Auguste Renoir, Alfred Sisley und Paul Cézanne.

Im Laufe der insgesamt acht Ausstellungen mit wechselnder Besetzung etablierten sich die Impressionisten bei Sammlern und Händlern. In der letzten Ausstellung 1886 zeichnet sich mit Neoimpressionisten wie George Seurat oder Paul Signac bereits ein neuer Stil ab. Der Impressionismus aber sei das Sprungbrett für die spätere Avantgarde-Kunst gewesen, erklärt Schaefer: „Er öffnete das Tor in die Moderne.“

„Paris 1874: L’instant impressioniste“ (der impressionistische Moment) nennt das Pariser Musée d’Orsay seine Jubiläumsausstellung (bis 8. Juli). Sie wird danach in der Washingtoner National Gallery of Art zu sehen sein (8. September bis 19. Januar).