Die Bibel lesen

Woche vom 5. bis 11. Juni

Sonntag:    Psalm 148
Montag:     Hohelied 1, 1 – 2, 7
Dienstag:     Hohelied 2, 8 – 3, 11
Mittwoch:     Hohelied 4, 1 – 5, 1
Donnerstag:     Hohelied 5, 2-16
Freitag:     Hohelied 6, 1 – 7, 10
Samstag:     Hohelied 7, 11 – 8, 14

Eine Rast in der judäischen Wüste, irgendwo zwischen der Festung Massada und dem Schriftrollenkloster Qumran: Ein Blütenteppich breitete sich aus in einem Tal, wie er schöner nicht sein kann. Unbeschreiblich in seiner Farbenpracht wogte er im sanften Wind vor dem hellen Gelb der Wüste und den dunklen Gesteinen der Berge unter einem leuchtend blauen Himmel, an dem eine Formation Zugvögel mit sehnsüchtigem Geschrei auf ihrer uralten Route nach Norden flog. Und mittendrin junge Leute, die in ausgelassener Freude in den Blumen tanzten.

Diese Szene kommt beim Lesen des Hohen Liedes unwillkürlich wieder vor Augen. Welch eine Lebensfreude! Es sind ja reine Liebeslieder, 25 an der Zahl, die uns da in der Bibel überliefert sind, und „JHWH“, der Name Gottes, kommt nur ein einziges Mal (8,6) und noch dazu eher beiläufig vor. Wie Volkslieder sind diese Verse (und dazu gehörten gewiss auch Melodien) seit urdenklichen Zeiten im Schwange, wurden irgendwann (wahrscheinlich im 2. Jahrhundert vor Christus) aufgeschrieben, haben aber bis heute nichts von ihrer Beliebtheit und Verwurzelung in den Herzen der Menschen verloren. Und es versteht auch bis heute jede und jeder, wenn „er“ als „der König“ und „sie“ als „meine Taube“ „angehimmelt“ wird und was der anderen zärtlichen Bilder mehr sind. Die schöne Sprache der Liebe ist international und überdauert die Zeiten!

Es gibt im „Lied der Lieder“ keinen Gedankenfaden, nach dem man den Inhalt gliedern könnte, auch wenn man versucht hat, hinter den Texten eine Art heilgeschichtliches Drama zu entschlüsseln. Aber das hing damit zusammen, dass es immer wieder Zeiten und Kräfte gab, denen es befremdlich, ja unheimlich war, dass so lebensfrohe, erotische Texte in der Bibel stehen. Man ging dann den Umweg über eine allegorische (symbolische) Deutung der Lieder, um zu rechtfertigen, dass sie – wenn auch damals schon mit Schwierigkeiten – in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen wurden.

Aber diese Umwege sind nur dann nötig, wenn die Leidenschaft menschlicher Liebe, ihr Verlangen und ihre Sehnsucht, ihre Erfüllung und ihre Verspieltheit mit ängstlichem Misstrauen oder Verachtung betrachtet und sogar den bösen Kräften zugeordnet werden, die den Menschen nur zu Fall bringen wollen. Die Heiligkeit auch der ganz irdischen Liebe, ihre Gotteskraft und Gottesnähe werden dabei vergessen. Warum eigentlich? Aus Angst, wie manche vermutet haben, oder wegen der Urgewalt und Unberechenbarkeit dieser Kräfte? Aber warum sollte der Gott der Liebe nicht gerade die Liebenden in seiner Hand halten, noch dazu in dieser pfingstlichen Zeit?