Die ägyptische Königin erfreut sich kulturübergreifender Popularität

Die ägyptische Königin Nofretete gilt als Beispiel vollkommener Schönheit – weltweit. Was hat das mit Beyonce und Rihanna zu tun? Der Berliner Historiker Sebastian Conrad klärt auf.

„Einige der größten Entdeckungen wurden von Menschen gemacht, die die Geschichte vergessen hat“, stellt der Berliner Historiker Sebastian Conrad fest. Muhammad Ahmad al-Senusi gehört dazu, obwohl er am 6. Oktober 1912 einen Fund machte, der bis heute die ganze Welt fasziniert: Er entdeckte die Büste der Königin Nofretete im Schutt einer Ausgrabung im mittelägyptischen Amarna. Diese Leistung wird allerdings ausschließlich Ludwig Borchardt zugeschrieben, dem offiziellen Grabungsleiter.

Den deutschen Archäologen war die Bedeutung dieses Fundes sofort klar – und damit lagen sie richtig. Die ägyptische Königin Nofretete ist seit langem Teil der Ägyptenbegeisterung des gebildeten Bürgertums, aber mittlerweile auch eine globale Ikone der Popkultur. Wie das zusammen geht, erklärt der Historiker Sebastian Conrad. Er hat jetzt ein Buch über die globale Karriere der ägyptischen Königin veröffentlicht.

„Wie kaum ein anderes Werk der Kunstgeschichte ist Nofretete zu einem Logo geworden, das weltweit lesbar ist – und sich überdies mit anderen Bildern und Bedeutungen kombinieren lässt“, so der Historiker. Er sieht in Nofretete eine „Projektionsfläche für gesellschaftliche Auseinandersetzungen in der Gegenwart“ wie zum Beispiel Blackwashing oder Whitewashing sowie Fragen nach der Rückgabe von Kunstgütern mit einem kolonialen Hintergrund. Das erklärt Conrad, der als Globalhistoriker an der Freien Universität Berlin lehrt, am Beispiel von Zahi Hawass und Beyonce.

Zahi Hawass, der frühere Generalsekretär der ägyptischen Antikenverwaltung, trat gerne in seinem Kampf um die Rückgabe der Büste an Ägypten wie Indiana Jones auf. Er sieht in Nofretete „ein Produkt der pharaonischen Zivilisation und ein einzigartiges Symbol der ägyptischen Nation“.

Beyonce, US-amerikanische Sängerin und Schauspielerin, inszenierte sich beispielsweise 2018 beim Coachella Music Festival als Reinkarnation Nofretetes. Generell tritt sie als Vorkämpferin für die Ermächtigung schwarzer Frauen ein, für schwarze Kultur und schwarze Schönheitsideale, so der Historiker.

Conrad sagt, die beiden hätten durchaus eine gemeinsame Agenda verfolgt, weil sie sich grundsätzlich distanzierten von einer europäischen Tradition, die das alte Ägypten und auch Nofretete als Teil der Vorgeschichte des modernen Westens für sich vereinnahmt habe. Beide lehnten nach Ansicht des Historikers die westlichen Schönheitsstandards ab und stellten die Hierarchie der Kunstwelt infrage. Außerdem zweifelten beide die Eigentumsrechte an Kunstwerken mit kolonialer Vorgeschichte an.

Doch als der Archäologe und die Sängerin 2009 zusammentrafen, kam es zum Eklat, so schildert das Sebastian Conrad. Hawass habe der Sängerin die weitere Erkundung der antiken Stätten verboten. Conrad sagt, bei dem Konflikt sei es um Grundsätzliches gegangen. Beyonce habe sich auf Nofretete als schwarze Königin und Quelle der Inspiration für Afroamerikanerinnen berufen, Hawass sah Nofretete in einem völlig anderen, nämlich ägyptischen Kontext. Dieser erkennt Nofretete auf gar keinen Fall als schwarze Königin an.

Conrad führt in diesem Zusammenhang die große Kontroverse an, die im Frühjahr 2023 um die Netflix-Dokuserie Kleopatra ausbrach. Die Hauptrolle wurde mit der britischen Schauspielerin Adele James besetzt. Mostafa Waziri, der aktuelle Leiter der Antikenbehörde, sah laut Conrad in der Darstellung Kleopatras als Schwarze eine Fälschung der ägyptischen Geschichte. Als die israelische Schauspielerin Gal Gadot 2020 Kleopatra spielte, wurde die Filmproduktion nicht nur in den Sozialen Medien des Whitewashings bezichtigt.

Für die Berliner und Berlinerinnen ist Nofretete eine von ihnen, seit sie 1924 dort zum ersten Mal öffentlich ausgestellt wurde. Aber wird sie das bleiben? Der Historiker Conrad weist darauf hin, dass sich die Diskussion um die Rückgabe von Kulturgütern in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Was die Büste der Nofretete betrifft, sagt er, könne man eine politische Entscheidung nicht aus der Vergangenheit ableiten. Mit der Rückgabe von Kulturgütern ließe sich nicht die Vergangenheit reparieren, aber die Zukunft gestalten.